Apr 9, 2018

Statement-Shirts, Girl-Power und Emanzipation. Schadet die Mode dem Feminismus wirklich?

„Sweet Princess“ oder „Girls just wanna have fun!“ – solche und ähnliche Sätze konnte man noch vor ein paar Jahren auf unseren T-Shirts lesen. Plötzlich hat sich etwas geändert. Heute klingen die Statements auf unseren Lieblings-Oberteilen ganz anders: „Power to the girls“, „No more patriarchy“, „My pussy, my choice!“, „Support the Girls“ oder „Believe in your female energy“ sind da in großen Lettern zu lesen. Aussagen, die deutlich mehr (Spreng-)Kraft haben. Es sieht so aus, als ob die Mode-Industrie gerade auf der Feminismus-Welle surft. Und das wirklich inflationär: Anlässlich des Weltfrauentags im März vor einem Jahr stimmten große Konzerne wie Gucci mit Slogans wie „Chime for Change” mit ein.

Was ist passiert? Ist das ein Erfolg für den Feminismus? Oder schadet diese Art von „Lifestyle-Feminismus“ dem aufrichtigen Engagement für Frauenrechte? Verkommt damit eine Kampfbewegung zum Kommerz oder erhält sie endlich aus der Fashion-Branche weltweit Zuspruch?

Female Power als Dauerbrenner – auf und abseits der Laufstege

Fakt ist: Empowerment für Frauen war und ist auf den Runways von New York bis Paris allgegenwärtig: Prabal Gurung setzte zur New York Fashion auf Motto-T-Shirts mit Schriftzügen wie „The Future is Female” oder „Our Minds, Our Bodies, Our Power”. In London bevölkerten Models bei Ashish mit Glitzertops die Runways, auf denen „Nasty Woman” oder „Pussy Grabs Back” geschrieben stand. In Mailand bezog Donatella Versace Stellung mit „Courage”, „United” und „Equality”-Schriftzügen. In Paris zeigte sich das Thema in etwas anderer Form: Dries von Noten repräsentierte die Selbstbestimmung mit androgynen Schnitten, bei Balmain konnte man kunstvolle Amazonen-Kostüme bestaunen.

Besonders viel Furore aber machte das T-Shirt der Chefdesignerin von Dior, Maria Grazia Chiuri. Sämtliche Fashion-Bloggerinnen auf meinem Instagram-Account kombinierten das 550 Euro-Piece zu Tüllröcken, Jeans, mit oder ohne Blazer oder im Team mit Lederjacke. Die Aufschrift: „We should all be feminists“. Das Zitat der feministischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie traf den Nerv und machte das Shirt zum absoluten It-Piece. Die Designerin selbst sagt, dass es bei Dior um die Selbstbestimmung der Frau gehen müsse. Und setzt diese Haltung in ihrer zweiten Kollektion konsequent fort. An alle Besucher der Show wurden Bandanas mit folgendem Aufdruck verteilt: „Feminist: A person who believes in the social, political and economic equality of the sexes.”

Frauen, Gleichberechtigung und die Zukunft sind aktuell ein allgegenwärtiges Thema: Man kann ohne weiteres sagen, dass die Mode den Feminismus für sich entdeckt hat. Aber was bedeutet das für den Feminismus, wenn er zum It-Thema wird? Muss man nicht fürchten, dass durch den inflationären Statement-Trend die gesellschaftliche Bedeutung dahinter verbraucht wird? Dazu habe ich mir mal die Geschichte der Mode im Hinblick auf die Bedeutung in der gesellschaftlichen und geschlechterspezifischen Auseinandersetzung angeschaut.


Die gute Nachricht: Mode war schon immer Mittel zum Widerstand

„Kleidung hat wichtigere Aufgaben, als uns zu wärmen. Sie verändert unseren Blick auf die Welt und den Blick der Welt auf uns.”
(Virginia Woolf)

Keine geringere als Virginia Woolf, eine der einflussreichsten, feministischen Autorinnen des vorigen Jahrhunderts, spricht Kleidung eine gewichtige Rolle zu. Und tatsächlich: Schaut man auf die Geschichte, zeigt sich, dass Mode als Ausdruck von Widerstand und als Vehikel für kritische Botschaften eine lange Tradition hat.

Bereits während der Französischen Revolution sprach man von den sog. Sansculotte, das waren revoltierende Pariser Arbeiter, die eben nach ihren Hosen benannt wurden. Auch die ersten Frauenbewegungen der Moderne drückten ihre Haltung durch ihre Kleidung aus. Vielleicht habt ihr schon vom Bloomer-Kostüm gehört? Die Herausgeberin des feministischen Magazins „The Lily“ empörte 1951 damit, dass sie Hosen trug – im Namen der Gleichberechtigung. Auch George Sand, eine französische Gesellschaftskritikerin, zog Männerkleidung an, um sich im Paris des 19. Jahrhunderts abzuheben und freier bewegen zu können.

Selbstbewusste, rauchende Damen im Bloomer-Kostüm 1890

Frauenrechtlerinnen in Deutschland sowie die Suffragetten in England und den USA forderten Anfang des 20. Jahrhunderts neben dem Wahlrecht auch eine andere Kleiderordnung. Die Kombination aus weißen Blusen plus Röcken, die mehr Bewegungsfreiheit ließen, standen für die Gleichstellungsbewegung. Damit stellten sich die Trägerinnen gegen die Unterdrückung der Frau – auch durch die einengenden Korsetts.

Genau das war auch der Anspruch von Coco Chanel: Als eine der bedeutendsten Mode-Ikonen des 20. Jahrhunderts wurde sie nicht nur für das „kleine Schwarze“ berühmt, sondern trug auch einiges zur Befreiung der Frauen bei. Denn Coco Chanel revolutionierte die Mode der Jahrhundertwende. Erinnert ihr euch? Wie ihr Kollege Paul Poiret bereits 1906 schaffte sie das Korsett ab. Dafür etablierte sie knielange Röcke und bequeme Damenlooks aus Jersey. Aus Fashionsicht war Jersey eine Revolution. Denn das fließende Material engte den Körper nicht ein und bildete damit einen Gegenpol zum Diktat der genormten Silhouette.

Kurze Haare, flache Schuhe, weite Kleidung – in den 20er Jahren ist der Garçonne-Stil ein weiterer Schritt zur mehr (modischer) Freiheit.

Am deutlichsten zeigte sich die fortschreitende Emanzipation am sog. Garçonne-Stil in den 20er Jahren. Frauen kleideten sich auf spielerische Art wie Männer – mit Rock oder Hose, Hemd mit Manschettenknöpfen und weit geschnittenem Sakko. Mit Kurzhaarschnitt der perfekte Look für einen ausgelassenen Abend im Pariser Nachtclub Pigalle sowie ein modisches Statement für Rebellion und Freiheit.

Kleidung etablierte sich also zunehmend als Mittel, um Selbstbestimmung auszudrücken – dazu zählt übrigens auch die Erfindung des Minirockes. Die Kreation der englischen Modeschöpferin Mary Quant endete mindestens 10 cm über dem Knie. Skandalös aus Sicht der älteren Generation – und Ausdruck des Protests der jungen Frauen gegen das festgelegte biedere Rollenbild des „Heimchens am Herd.“ Ab jetzt zeigten Kleider und Röcke auch keine Hüfte mehr. Das neue Schönheitsideal – schlank und androgyn – wurde durch das britische Modell Twiggy verkörpert. Andernorts sprengten schwarze Bürgerrechtlerinnen in den 60er Jahren mit Denim-Overalls die Konventionen von Gesellschaftsgrenzen. Aus den 80ern kennt man die Power Suits, mit denen Frauen sich mit Heels und Schulterpolstern größer und breiter – auf gewisse Weise also „maskuliner machten. Heute verstehen wir Selbstbestimmtheit als Ausdruck von Individualität: So erleben neben vielen Gender-übergreifenden Looks auch feminine Styles ein Revival – denn nur, wer sich gern sexy kleidet, macht sich noch lange nicht zum Objekt oder bedient den sog. „Male Gaze“. Das alles sind die Errungenschaften einer langen und engagierten Modegeschichte.

Fazit: Mode hat immer auch Chancen geschaffen. Mutige Fashion-Pioniere haben sich nicht nur für Freiheit und Individualität eingesetzt, sondern diese mit ihren Kreationen und Ideen auch lebendig, sichtbar und vor allem tragbar gemacht. So gesehen ist Mode auch Ausdruck von Individualität, Persönlichkeit und vor allem Wahlfreiheit – dem Kern des Themas Emanzipation. Frauen ziehen sich für sich selbst an und nicht für andere und unterstützen sich dabei gegenseitig.

Heute: Verliert Feminismus als marktfähiges Produkt seine Inhalte?

Wie also ist der aktuelle Trend, der auf Laufstegen und in Streetstyles vorherrscht, einzuschätzen? Die häufigste Kritik lautet, dass diese Art von konsumfreundlichem Feminismus den ernsthaft zu diskutierenden Themen wie Gleichstellung im Beruf – eklatanten Gehaltsunterschieden zwischen Mann und Frau, Frauen in Chefetagen etc. – die Kraft nimmt. Empowerment-Shirts, so wird argumentiert, verniedlichen die Debatte um mehr Frauenrechte und entkernen sie.

Ich sehe es anders: Eine starke Botschaft wird nicht schwächer, weil sie auf einem Oberteil zu lesen ist. Im Gegenteil. Mode greift seismographisch Strömungen in der Gesellschaft auf und macht sie sichtbar – das zeigt die Geschichte und so ist es auch heute. Designer werden davon beeinflusst, worüber die Welt redet und was passiert. Kein Wunder also, dass der Feminismus heute in der Mode so präsent und auffällig ist wie schon lange nicht mehr.

Aus meiner Sicht ist es eine gute Nachricht, dass Gleichberechtigung aktuell eine hohe Sichtbarkeit erreicht hat und die Modewelt Feminismus so flächendeckend in unser Bewusstsein bringt. Davon profitiert der Feminismus. Das angestaubte Image ist weg, die Debatte findet jetzt auch auf T-Shirts und auf Instagram statt. Zugegeben in Hochglanz-Optik! Das trägt aber nicht weniger dazu bei, dass der Diskurs um die Rolle der Frau, um einseitige Rollenzuweisungen, um Wahlfreiheit im Leben und um Gleichstellung im Job umso lebendiger geführt wird. Dass sich Menschen bewusst damit auseinandersetzen, wie sie leben und was sie ändern wollen. Vor allem auch: Dass die Fashion-Branche selbst aktiv einsteigt, sich an die eigene Nase fasst und über Produktionsbedingungen, Hierarchien und Frauenbilder laut nachdenkt. Und das ist absolut wünschenswert und nötig in Zeiten, in denen beispielsweise ein Chauvinist wie Donald Trump seine Glaubenssätze zum Besten gibt und Sexismus leider immer noch an der Tagesordnung ist.

Tatsächlich ist Feminismus im Moment „in“. In der Werbung spricht man deshalb von Femvertising. Autohersteller werben mit der Gleichstellung von Mann und Frau. Der Verlag Gruner + Jahr hat mit F-Mag ein feministisches Magazin für Frauen zwischen 18 und 30 gelauncht und es gibt sogar ein feministisches Parfum: Damn Rebel Bitches.

Über all das kann man auch wieder kritisch diskutieren – aber allein, dass es das Thema ins Marketing schafft, trägt dazu bei, es in den Köpfen zu halten. Das ändert natürlich nichts daran, dass die politische und gesellschaftskritische Message dahinter weiter offen diskutiert werden muss. Diejenigen, die etwas verändern wollen, müssen immer wieder die Komfortzone verlassen. Und konkrete realisierbare Ideen entwickeln, um Tatsachen zu schaffen. Der neue Feminismus zeigt sich spielerischer, die Botschaft aber bleibt ernsthaft. Warum also sollte Kleidung nicht als Symbol dafür stehen können? Oder wie Lagerfeld seine Models mit Protestschildern skandieren ließ: „We can match the machos!“. Und ob.

Wie steht ihr zu der Debatte? Habt ihr auch ein oder mehrere Statement-Shirts im Schrank? Was haltet ihr von der Idee, dass Mode und Feminismus sich gegenseitig weiterbringen können? Disktutiert mit mir in den Kommentaren!

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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