Jul 8, 2021

Weiblichkeit als Karrierestopper?

Aktualisiert am 4. August 2022

Die Bloggerin Mademoiselle Nicolette hat kürzlich eine spannende Insta-Umfrage gemacht: Warum ziehen sich in Deutschland viele Frauen eher pragmatisch und burschikos an? Unter den vielen Kommentaren, welche sie erhielt, mutmaßten ihre Follower*innen unter anderem: Als Frau hätte man leider bei zu femininen Outfits schnell mit dem Klischee zu kämpfen, dass man nicht klug sei à la «Die Frau kann nicht so schlau sein, wenn sie sich so zurechtmacht.« Und Nicolette selbst fragt in einem weiteren Post: »Is there less respect when the dress is tight?«

Was ist dran? Stimmt das? Machen wir uns als Frauen situativ bewusst unweiblicher, um ernst genommen zu werden? Ist das eine Frage von bloßen Äußerlichkeiten oder steckt viel mehr dahinter? Ich sehe da vor allem im Business sofort einen Zusammenhang: Vor allem in großen Konzernen ist es ein bekanntes Phänomen. Wer als Frau erfolgreich sein und führen will, macht sich oft unbewusst den Männern gleich.

Zeigt man sich allzu weiblich, läuft man Gefahr, nicht ernst genommen zu werden oder intellektuell als »minderbemittelt« abgestempelt zu werden. Interessanterweise nicht nur von Männern, sondern häufig auch von den eigenen Geschlechtsgenossinnen. Je höher eine Frau im Beruf aufsteigt, desto weniger erwünscht ist betonte Weiblichkeit. Womit hängt das zusammen? Warum wird einer stylishen, femininen Frau häufiger unterstellt, sie sei weniger klug? Zwischen äußerlicher Attraktivität und intellektuellen Fähigkeiten gibt es doch keinen Zusammenhang. Mich hat es immer wieder gewundert, warum so oft Rückschlüsse gezogen werden. Das eine ist doch Stil und persönlicher Geschmack, das andere sind die kognitiven Fähigkeiten. Woher kommt diese Vermengung zweier völlig unabhängiger Themen? Gräbt man an der Stelle etwas tiefer, kommt man unweigerlich zu der Frage nach den Rollenbildern in unserer Gesellschaft. Wer verbindet warum was mit Erfolg und Führung einerseits und mit Weiblichkeit andererseits? Damit sind wir mitten in der Gender-Debatte und bei Stereotypen.

Ist Führung »männlich«?

Ein paar harte Fakten vorweg: Der Führungsanspruch von Frauen ist in Deutschland nach wie vor unterrepräsentiert. So lag der Frauenanteil an allen Vorstandsmitgliedern der 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland im Jahr 2019 bei nur 9% (Quelle: Holst, E./Wrohlich, K. (2019): Managerinnen-Barometer 2019. DIW Wochenbericht, 3. [online]). Dabei ist längst er- und bewiesen, dass Frauen teilweise effektiver führen als Männer und bestimmte Unternehmen mit Frauen an der Spitze auch mehr Gewinn machen.

Es ist keine Frage der Kompetenz. Ursachen zu benennen, warum sich die Dinge trotz allen Rufen nach Fairness und Gleichheit so schleppend entwickeln, ist komplex und vielschichtig. Hier wirken Faktoren wie die nicht ausreichende politische Unterstützung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (für Männer wie Frauen), Regelungen wie Ehegattensplitting (das Frauen veranlasst, nicht mehr in den Beruf zurückzukehren) und die nach wie vor patriarchalisch geprägten Unternehmenskulturen vor allem in der Wirtschaft – repräsentiert durch Männerbünde.

Für wesentlich aber halte ich traditionelle Geschlechterrollen und Stereotype, die einen großen Einfluss haben. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass Frauen an gläserne Decken stoßen. Sie machen Weiblichkeit und alles, was damit assoziiert wird, zum Karrierestopper. Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 zeigte erschreckend deutlich, wie tief verwurzelt Gender-Stereotype immer noch sind.

So vertraten 44 Prozent der Befragten die Meinung, dass Frauen sich in erster Linie um Kinder und Haushalt kümmern und Männer das Geld für die Familien verdienen sollten (Quelle: Special Eurobarometer 465 Gender Equality 2017 European Comission). Frauen werden also nach wie vor von einem hohen Prozentsatz der Menschen immer noch typischerweise in der »Care-Rolle« gesehen, während Männer mit »Geld, Macht und Führung« in Verbindung gebracht werden. Ja, es ist einiges passiert in unserer Gesellschaft, um die starren Rollenbilder aufzuweichen, aber offensichtlich noch nicht genug. Eines macht diese Erhebung erschreckend deutlich: Rollenbilder sind langlebig und wirken fundamental und subtil.

Es sind genau diese Rollenbilder, welche als Karrierebremse für Frauen wirken – schließlich scheinen »Führung, Führungsstärke und Führungsverhalten« sehr stark mit Männlichkeit und den zugeschriebenen Attributen verbunden zu sein. Um hier kurz den Bogen zum Anfang und zu der Abwertung femininer Looks zu schlagen: Wenn Führung also in hohem Maße mit »Männlichkeit« assoziiert wird und das Weibliche mit pflegenden und kümmernden Tätigkeiten, ist es nicht verwunderlich, dass Frauen sich im Business »männlicher« machen wollen – mit ihrer Kleidung und in ihrem Verhalten. Wie tief diese Klischees auch im Alltag verwurzelt sind, wird in der Insta-Umfrage der Bloggerin offensichtlich. Diese bringt die Abwertung von Weiblichkeit in ihren vielen Facetten ans Licht.

Tradiertes Rollenbild als Hürde auf dem Weg nach oben

Eine Unternehmenskultur, in welcher die Rolle der Frau – kollektiv und unbewusst – als die der »Unterstützerin« oder »Fürsorgende« definiert ist, erschweren weiblichen Talenten den Weg an die Spitze. Denn das widerspricht in diesem Konzept dem Bild einer »Führungsfigur«. Umso mehr dann, wenn das Führungsideal mit Maskulinität verbunden ist und durch Normen wie Dominanz, Stärke, Konkurrenz und das Darwin’sche »Survival of the fittest« gelebt wird. Das führt dazu, dass ein empathischerer, kooperativerer Führungsstil abgewertet und als »Schwäche« umgedeutet wird.

Aber Vorsicht, hier gilt es zu differenzieren: Denn wer sagt denn, dass weibliche Führung immer »soft« sein müsse oder auf Soft Skills aufbaue? Diese Annahme zeigt deutlich, wie intensiv Rollenklischees wirken! So soll der weibliche Stil einzig und allein von sozialer und kommunikativer Kompetenz, Empathie und Engagement für das Gemeinwohl geprägt sein. Was in der Realität so nicht zutrifft. Hinzu kommen oft weitere einseitige Einschätzungen, wie beispielsweise, dass Männer risikobereiter und durchsetzungsstärker wären. Ich kenne einige weibliche Führungskräfte in Top-Positionen, die einen individuellen, mutigen, analytisch-klar geprägten Stil pflegen, der trotzdem empathisch ist und sich jedem Schubladendenken entzieht. Letzteres negiert völlig die individuelle Persönlichkeit jeder einzelnen weiblichen Führungskraft.

Als weiteres Hindernis wird der Kommunikationsstil angesehen. Dem Klischee nach, werden Frauenstimmen nicht mit Führung verbunden, so dass Frauen sowohl ihre Tonlage als auch ihre Tonalität verändern müssen. So frappierend das zunächst klingt, es ist erwiesen, dass höhere Stimmen weniger ernst genommen werden als tiefere. Auch haben Frauen, die eine verständliche Abneigung gegen Imponiergehabe haben, häufig einen Nachteil. Denn sie werden als jemand wahrgenommen, die ihren Führungsanspruch zu wenig deutlich macht – und das wird als mangelndes Selbstbewusstsein ausgelegt.

Zeigen Frauen dann aber andererseits klare Führungsstärke, werden sie schnell als »zu direkt« »zu laut«, »zu dominant« oder »verbissen« und damit wieder als jemand mit unpassendem Verhalten verurteilt. Verhält sich hingegen ein Mann so, wird das als Entschlossenheit und Zielorientierung gelesen. Ein gutes Beispiel dafür ist Angela Merkel. Zu Beginn ihrer Karriere wurde sie nicht ernst genommen, als sie dann immer mehr politisches Gewicht erlangte, hieß es, sie hätte männliche Konkurrenten reihenweise »geköpft«.

Überhaupt werden Frauen und Männer in Führung mit zweierlei Maß gemessen: Das beginnt bereits bei der Einstellung. Bei Frauen werden tendenziell höhere Standards erwartet. Sie werden anhand ihrer vergangenen Leistung gemessen – Männer hingegen an ihrem Potenzial in der Zukunft (»Performance-Evaluation Bias«). Zudem werden die Aktivitäten von Frauen in Top-Positionen konstant kritischer beobachtet als die von männlichen Kollegen auf demselben Level. Das liegt auch daran, dass in vielen Führungspositionen Frauen immer noch die Ausnahme sind und einen Minderheitenstatus besitzen. Dieser sogenannte »token status« beschreibt ihre Rolle als »Vorzeigefrau«, in der eine weibliche Führungskraft kritisch betrachtet und jedes Verhalten bewertet und schlimmstenfalls verurteilt wird.

Was jetzt? Netzwerke und starke Frauen, die sich gegenseitig fördern!

Überall da, wo Stereotype ihr Unwesen treiben, bleibt kein Raum für Vielfalt. Denn die knallharten Zuschreibungen der tradierten Rollenbilder, die immer noch massiv wirken, lassen keinen Platz für individuelle Stile. Die gute Nachricht ist aber, dass in der Gesellschaft bei der Bewertung von Führungskompetenzen ein Wandel im Gange ist. Langsam, sehr langsam, aber es ist etwas in Bewegung.

Was können wir also für mehr Gerechtigkeit und Fairness tun? Trotz der Wirkmacht tradierter Rollenklischees? Eine Voraussetzung für größere Karrierechancen ist eine möglichst hohe Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen. Der Ansatzpunkt dafür sind verbesserte Rahmenbedingungen für Kinderbetreuung, welche eine partnerschaftliche Aufteilung von familiären und beruflichen Aufgaben ermöglicht. Und ja, selbstverständlich hilft uns die Quote, das zu erreichen, was ohne sie nicht entstehen will. Auch, wenn ich es mir anders wünschen würde, halte ich die Quote als initiierende Maßnahme für unverzichtbar. Sind Frauen dann Top-Leaderinnen sollten sie andere Frauen fördern. Im Moment entstehen viele Netzwerke, in denen Frauen in Führung sich zusammenschließen und sich gegenseitig unterstützen. Das ist sehr wichtig, um einen »Welleneffekt« zu schaffen. Wenn Frauen andere Frauen empfehlen, anstatt sie aus Angst vor Verlust der hart erkämpften Position zu blockieren (sog. »Bienenkönigin-Effekt«), haben immer mehr hochtalentierte Frauen die Chance auf Spitzenpositionen.

Networking selbst zu leben ist hilfreicher als die Männerbünde moralisch zu verurteilen. Wie individuell weibliche Führungsstärke sein kann, zeigt sich an prominenten Leaderinnen wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nach 16 Jahren ihr Amt abgibt. Ihre sachbezogene, analytische, rationale Art, Herausforderungen zu begegnen und zu führen, ist in kein Klischee über Führung zu pressen.

Was hättest du Mademoiselle Nicolette auf Insta geantwortet? Ist zu feminine Kleidung ein Problem? Wie kleidest du dich für den Job und was hast du für Erfahrungen mit Rollenklischees gemacht? Teile gern deine Gedanken mit uns in den Kommentaren.

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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