Feb 8, 2023

Schwestern statt Rivalinnen – warum GIRL HATE vor allem uns Frauen schadet

Aktualisiert am 10. September 2024

Objektiv betrachtet ist es heller Wahnsinn: In einer Gesellschaft, in welcher Gleichberechtigung immer noch nicht erreicht ist, in welcher es noch so viel zu erstreiten gibt, bekämpfen Frauen sich untereinander – anstatt sich zu unterstützen! Dieses Phänomen hat einen Namen: GIRL HATE. So jedenfalls taufte die US-amerikanische Bloggerin Tavi Gevinson das Verhalten, dass Mädchen und später Frauen andere Mädchen und Frauen klein halten, abwerten und sich wechselseitig Steine in den Weg legen – das alles in der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit von Männern sowie für Jobs und Positionen in einer ohnehin stark patriarchalisch strukturierten Geschäftswelt. Statt Banden und Communities zu bilden, solidarisch zu sein und »Sisterhood« zu pflegen, entscheiden wir uns für die ewige stille oder offen ausagierte Konkurrenz gegenüber unseren Geschlechtsgenossinnen. Wie doof sind wir eigentlich?

Was ist Girl Hate?

Aus Unsicherheit, Neid und Missgunst heraus halten sich Frauen und Mädchen untereinander klein und bekämpfen sich. Teil davon ist auch, dass Frauen sich wechselseitig als Hindernisse in der Suche nach DEM Richtigen wahrnehmen.

 

Bitch Face – was steckt eigentlich hinter toxischer Weiblichkeit?

Frauen nehmen Geschlechtsgenossinnen als Bedrohung wahr und bekriegen sie. Woher kommt das? Was führt dazu, dass Mädchen/Frauen andere Frauen als Konkurrentinnen begreifen?

Glaubt man der patriarchalisch geprägten Film- und Medienwelt ist das eine Realität: In vielen typischen Highschool-Filmen und selbst bei Peter Pan werden Frauen inszeniert, die einander nicht die Luft zum Atmen gönnen. »Zickenkriege« und »Stutenbissigkeit« können wir auf den Leinwänden sehen, solange die Filmrolle reicht. Und allein schon, wie selbstverständlich wir diese Worte nutzen, zeigt, dass nicht nur die Medienlandschaft frauenfeindlich ist. Es ist also wahr: Frauen bewerten Frauen. Frauen verurteilen Frauen. Ein einfaches Beispiel, das vermutlich jede von uns kennt: abfällige Bemerkungen über eine Frau, die an unserer Mädels-Clique vorbeiläuft à la »Oh mein Gott, siehst du, was die anhat?« oder »Glaubt die wirklich, dass sie so gut aussieht?«. Vielleicht erinnerst du dich auch an das Unbehagen, wenn eine besonders attraktive Frau den Raum betritt. Und wenn wir anfangen, darüber nachzudenken, fällt den meisten von uns eine Situation ein, in welcher wir eine andere Frau von oben bis unten gemustert haben, schlecht über eine andere Frau geredet haben, demonstrativ mit den Augen gerollt oder mindestens etwas Vernichtendes gedacht haben.

Die Studie »Sex differences in cooperation: a meta-analytic review of social dilemmas« von Daniel Balliet und seinem Team von der Universität Amsterdam weist nach, dass »Stutenbissigkeit« unter Frauen tatsächlich existiert. Insgesamt 272 Forschungsarbeiten wurden dazu ausgewertet – mit insgesamt mehr als 31.000 Probandinnen und Probanden in 18 Ländern (die meisten kamen aus den USA, den Niederlanden, England und Japan). Dabei kristallisierte sich unter anderem heraus, dass Frauen im Berufsleben stark untereinander konkurrieren anstatt sich gegenseitig den Weg zum Aufstieg zu ebnen. Egal, wie wir es drehen und wenden, »Girl Hate« existiert.


Spielarten von Girl Hate: Mom Shaming & andere Formen der Abwertung

Auch unter Müttern gibt diesen subtilen Kleinkrieg Das klingt dann in etwa so: »Stell’ dir vor, sie ist schon wieder Mutter geworden – das schafft die nie. Bei dem Job hält sie der Doppelbelastung nicht lange stand. Und erst die Ehe – der geht bestimmt bald mit einer Jüngeren fremd. Wenn ich da sehe, wie schwierig das bei uns schon mit einem Kind ist.« In dem Beispiel zieht also eine Frau mit einer Freundin über eine Dritte her. Bei den sog. »Mummy Wars« mobben sich Mütter gegenseitig. Frauen werden von anderen Frauen ungerechtfertigt wegen Entscheidungen im Hinblick auf ihr Kind belehrt oder diffamiert. Was treibt uns nur an, andere Frauen in so ein schlechtes Licht zu rücken?

Das Phänomen »Girl Hate« kennt noch weitere Varianten. Manchmal richtet sich die Häme und Abwertungsrhetorik auch gegen Mädchen, die eben nicht den Idealen entsprechen: »Schau mal die an, wie dick die ist«. Wer also keine Thigh Gap hat oder nicht den gängigen Idealmaßen entspricht, kann genauso Opfer von dieser Art von Mobbing werden. Eigentlich sehe ich »Girl Hate« als eine Art von Eifersucht an, aber offensichtlich kann es auch der Wunsch sein, sich von dem als Nicht-Ideal empfundenem abzugrenzen – indem es schlicht abgewertet wird.

Wenn man sich das alles auf der Zunge zergehen lässt, könnte man auf die Idee kommen, dass das ewige Konkurrieren in unserer DNA stecken könnte? Aber Stopp! – evolutionär gesehen, wählen doch eigentlich die Weibchen aus, oder was ist sonst der Grund, warum bei den Tieren die Männchen Pfauenräder schlagen oder besonders bunt gefiedert sind? Biologisch lässt sich »Girl Hate« vermutlich nicht herleiten, aber wohl als Ergebnis unserer Sozialisation und der Erziehung von Mädchen zur Abhängigkeit in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Ich habe mich damit beschäftigt, recherchiert und bin dabei auf eine konkurrenzfördernde Haltung gestoßen. Eine Haltung, die vielen von uns vielleicht nicht bewusst ist.


In ständigem Wettbewerb: Die fatale »Es-kann-nur-Eine-geben-Denke«

Vielen Mädchen wird vermittelt, dass es wichtig ist, schöner, schlanker, besser oder charmanter zu sein als andere Mädchen. Wer hat den besten Körper, wer ist die Klügste, wer ist mit dem tollsten Typen zusammen? – die Liste lässt sich beliebig erweitern. Mädchen und Frauen wird eingeredet, sie befänden sich im konstanten Wettbewerb miteinander. So lernen wir von Kindesbeinen an, uns zu vergleichen, in den Wettbewerb zu treten – im Kinderballett, beim Musikunterricht, im Sport, in der Schule und und und … In der Pubertät, in der wir uns mit unserem Körper auseinandersetzen, kommt oft noch die Vorstellung dazu, dass unser Wert von unserem Aussehen abhängt. Wenn dann on top noch die weit verbreitete Fehlannahme »Es kann nur eine geben!« kultiviert wird, ist das Feld für ein lebenslanges Konkurrenzszenario bestellt.

In einer Peer Group oder Community geht es also darum, das EINE coole Girl, die EINE Beauty, das EINE smarte Girl etc. zu sein. Die falsche Idee, dass im Zweifel nur für eine Platz ist, begünstigt das Verhalten, potentielle Konkurrentinnen schlecht zu reden und möglichst auszuschalten. So empfinden viele Frauen von Kindesbeinen an ein verinnerlichtes Gefühl von chronischem Wettbewerb. Das wird dann ab der Pubertät verstärkt auf Äußerlichkeiten projiziert. Auch beginnen Frauen sich wechselseitig als potentielle Gefahr auf der Suche nach dem richtigen Mann wahrzunehmen. Die US-Bloggerin Tavi Gevinson erklärt es so: »Erfüllt eine andere Frau Rollenbilder und männliche Erwartungen wie »Schlanksein«, eine »gute Figur« oder »größere Brüste« besser als wir selbst, verurteilen wir uns selbst für unsere Unzulänglichkeit, empfinden Missgunst, Neid und den Drang, die andere Person aufhalten zu wollen.«

 

 

 

Dahinter steckt ein Mangel an Selbstwertgefühl. Denn Bedrohungsgefühle entstehen sehr schnell da, wo es an echtem Selbstbewusstsein mangelt. Zur Stabilisierung des eigenen Selbstwertes müssen andere abgewertet werden – das ist für mich kurz formuliert der Kern von »Girl Hate« oder der Variante »Mom Shaming«.

Ich betrachte das als Resultat einer Sozialisation des ständigen Vergleichens, die Eifersucht und Missgunst fördert. Wer unbewusst davon ausgeht, dass es nur eine Nummer Eins geben kann, lebt in ständiger Unsicherheit. Denn es könnte ja jede Sekunde eine Bessere um die Ecke kommen und uns vom Thron stoßen. Wenn die Eine gewinnt, verliert die andere zwangsläufig. Diese Haltung unterwandert chronisch das Selbstbewusstsein. Zu dieser Unsicherheit kommt dann noch die Abhängigkeit vom »männlichen Blick«. Das meint, die Schönheits- und Körperideale, von denen Frauen annehmen, dass Männer sie als attraktiv einstufen, werden als erstrebenswert betrachtet. Das Resultat dieser präzise anerzogenen Unsicherheit und Selbstwertinstabilität mündet schlussendlich in einem gesellschaftlichen Problem, das jede von uns bis ins Erwachsenenalter hinein und sogar in die Berufswelt verfolgt.

 

»Auf dem Weg zu Gleichberechtigung sollten wir lernen, uns gegenseitig zu unterstützen und zu bestärken, statt einander aufzuhalten.«

Tavi Gevinson

 

Und im Job? Frauen bekämpfen Frauen in einer frauenfeindlichen Gesellschaft

Es ist kein Geheimnis, dass in der Business-Welt immer noch patriarchalische Strukturen wirksam sind. Das führt dazu, dass Frauen in Vorständen, im gehobenen Management und in bestimmten Schlüsselpositionen in der Unterzahl sind. Also wäre es doch geboten, dass Frauen in Führungsrollen andere Frauen unterstützen. Leider greift auch hier teilweise das Phänomen »Girl Hate«. Frauen haben gelernt, sich mit Frauen zu vergleichen und fürchten irrational oft mehr, von einer Frau verdrängt zu werden als von einem Mann. Deswegen haben Mitarbeiterinnen es oft schwerer, sich bei einer Frau im Chefsessel mit ihren Vorschlägen und Ideen durchzusetzen. Als Ursache wird unter anderem angeführt, dass die Konkurrenz unter Frauen dadurch verstärkt wird, dass in den Führungsetagen eben nur wenige Frauen vertreten sind. Die Wenigen haben dann umso mehr Angst, von einer Geschlechtsgenossin verdrängt zu werden – zumal Jugend und Attraktivität Attribute sind, die wiederum bei den Männern in Führung Aufmerksamkeit erregen können.

 

Zickenkrieg, Mom Shaming & Co. – Gib GIRL HATE keine Chance

Der Ausweg aus diesem Dilemma ist, sich der eigenen Haltung bewusst zu werden und es anders zu machen. Lasst uns zusammenhalten. Ich sage nicht, dass wir das nicht auch tun. Vielmehr geht es darum, diese zerstörerische Denkweise bei einem erheblichen Prozentsatz der weiblichen Bevölkerung zu stoppen. Denn auf dem Weg zu echter Gleichstellung gibt es noch so viel zu erreichen – auch und gerade in der Berufswelt: Gehalt, Kinderbetreuung sowie latenter und offener Sexismus sind große Themen, die es zu verändern gilt. Statt die andere argwöhnisch zu beobachten und instinktiv zu konkurrieren, sollten wir unsere Denkmuster hinterfragen – immer wieder – und gemeinsam Dinge bewegen. Denn es ist Platz für alle da. Idealbilder sind Schall und Rauch. Und Diversität ist eine große Ressource!

Ja, es ist nicht einfach gegen tief verwurzelte Ängste zu arbeiten, aber es lohnt sich. Lasst uns die Vielfalt feiern, lasst uns begreifen, dass jede von uns einzigartig ist und ihren individuellen Weg geht. Dass sich Konkurrenz einfach nicht auszahlt und sinnlos Energie frisst. Statt »Girl Hate« bringt uns »Girl Love« gemeinsam viel weiter. Die Basis von »Girl Love« aber ist, sich selbst zu lieben und im Wortsinne selbst-bewusst durchs Leben zu gehen. Wenn wir unsere eigenen Themen klären und Unsicherheit überwinden, erübrigt es sich nämlich, andere Frauen als Vergleichsgröße für den eigenen Wert heranzuziehen. Denn dann definieren wir uns aus uns selbst heraus –und damit auch unabhängig von gesellschaftlichen und/oder patriarchalisch diktierten Normen.

Mehr Mut, bitte! Sisterhood & Shine-Theorie

Also: Sprecht niemals schlecht über eine andere Frau! Im Zweifel sind wir uns näher als wir denken und machen ähnliche Erfahrungen. Die amerikanische Autorin Bell Hooks spricht von »Sisterhood«, also der Solidarität unter Frauen, die es brauche, um gesellschaftlich noch nicht ideale Strukturen zu verändern. Frauen profitieren definitiv davon, wenn sie sich gegenseitig  unterstützen und, wie es ja schon passiert, Business-Netzwerke bilden und auch andere Frauen glänzen lassen (»Shine Theory« von Ann Friedman). Erfolgreiche Frauen halten zusammen, sie fürchten die Größe der anderen nicht, bauen sich wechselseitig auf und ebnen wieder anderen den Weg. Selbstbewusstsein ist ansteckend und eine Frau, die glänzt, schließt eine andere nicht aus! Im Gegenteil – sie ist eine Inspiration und vielleicht sogar eine Mentorin für den Erfolg ihrer Geschlechtsgenossin: Queens Run With Queens.

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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