Apr 8, 2021

»Altersgerecht« ist keine Kategorie für Fashion! Frauen über 40 und die Mode.

Aktualisiert am 2. Dezember 2021

Die Magazine und Modezeitschriften sind voll davon – Artikel darüber, was Frauen ab 40 tragen sollten, und was nicht. Und das ist erst der Anfang. Eine Dekade später gibt’s dann die Tipps für Frauen ab 50, und spätestens ab 60 haben die Empfehlungen mit Trends nicht mehr zu tun. Schon ab 40 ist von fashionmäßigem Downgrade die Rede, Flip-Flops, Minis und Jeansshorts sollen tabu sein, wer besonders lässig sein will, darf – ginge es nach den Stilberatern – ein Ringelshirt anziehen. Ab 50 folgt dann der Abschied von Statement-Accessoires, starken Farben und Prints mit dem freundlichen Verweis auf Klassiker und für Ladies 60 plus bleiben dann ausschließlich gedeckte Töne und körperumspielende Schnitte.

»Zu kurz«, «zu trendy«, »zu jugendlich« – standardmäßig werden Frauen über 40 solche vermeintlichen Styling-Tipps à la »Teile, die Sie ab 40 nicht mehr tragen sollten«, serviert. Wer als Frau älter wird, soll sich also in Sachen Styling und Extraversion zurücknehmen, die Haare kürzen und die ersten grauen Strähnen tunlichst kaschieren. Gewünscht ist, dass Frauen sich für ein bestimmtes Alter anziehen und ihre Individualität an der Garderobe immer mehr abgeben. Bis hin zu einer Art Einheitsuniform ab 60 in gedeckten Nuancen.

Graue Haare, Falten, 50 plus. Wunderschön, oder?

Mir bleibt bei jeder dieser – auch noch gut gemeinten – Empfehlungen meist nur der Mund weit offen stehen und die eine Frage formiert sich in meinem Kopf: WAS SOLL DAS? Warum sollte Kleidung mit dem Alter, das ohnehin relativ ist, verknüpft werden? Ganz im Ernst: Warum sollten sich Frauen plötzlich anders stylen, nur weil sie eine bestimmte Altersgrenze überschritten haben?

 

Empörende Ungleichheit – Frauen dürfen nicht alt sein! Männer schon.

Dazu muss man sich mal etwas genauer anschauen, welche Stereotype über das Älterwerden bei Männern und Frauen vorherrschen. Ich fange mal mit einem vergleichsweise banalen Beispiel an. Salt & Pepper Hair – also die Mischung aus Grau und Schwarz – gelten bei Männern als sexy, Frauen mit grauen Haaren werden als »ältlich« wahrgenommen und meist wird geraten, die Haare zu färben. Was als natürlicher Alterungsprozess den Männern vorteilhaft zu Gesichte stehen soll, wird bei Frauen tendenziell als Minderung der Attraktivität betrachtet. Männer mit faltigen und kantigen Gesichtern gelten als besonders reif, maskulin und verwegen, Frauen mit natürlichen Anzeichen der Hautalterung empfiehlt man bestenfalls Botox, um das Sinken in der Attraktivitätsskala etwas aufzuhalten.

Selbst in der Kunst findet sich über Jahrhunderte hinweg eine geringschätzige Darstellung von Frauen – während der Mann im mittleren Lebensalter als weise, milde und lebenserfahren inszeniert wird, findet man häufig die Darstellung der älteren Frau als böse Hexe – verbittert, mit dunklen Gedanken und schlechten Charakterzügen. Es sieht so aus, als wirkten hier nicht erst seit gestern tradierte und festgelegte Bilder – Stereotype.

Ein Maler, zwei Lebenswelten: Hans-Peter Feddersen (1848-1941) malt eine alte Frau und einen alten Mann. Die Unterschiede sind klein, aber gravierend.

So einfach und offensichtlich diese Beispiele sind, so deutlich verweisen sie auf eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, was die Bewertung des Älterwerdens anbelangt. Frauen ab einem gewissen Alter erfahren kollektive Abwertung und Kränkung. Obwohl Frauen in den letzten Jahrzehnten in allen gesellschaftlichen Bereichen so manches erstritten und auch erreicht haben, herrscht, wenn es um das Älterwerden geht, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen – und zwar beruflich und im privaten Leben. Attraktivität, erotische Anziehungskraft, die Zuschreibung von Kompetenzen und damit verbunden der Erfolg im Beruf werden bei Frauen viel stärker negativ mit dem Alter verbunden als bei Männern. Man traut Frauen plötzlich weniger Leistung zu, während Männer in den »besten Jahren« sind und gerade im fortgeschrittenen Alter als weise und souverän gelten.

Infografik: Von Gleichberechtigung weit entfernt | Statista

Es ist leider eine Tatsache: Ausgrenzung aufgrund des Alters trifft vor allem Frauen. Diese macht auch keinen Halt vor Prominenten. Ein Beispiel: Sarah Jessica Parker war auf Fotos der Met Gala 2018 mit Falten zu sehen. Das brachte ihr Kommentare auf Twitter ein wie »Ihre Haut sieht aus wie Baumrinde«; »sie sieht aus, als wäre sie 89«. Die Schauspielerin war zu diesem Zeitpunkt 53. Schon ab Mitte 30 fallen bei Schauspielerinnen die Gagen, während ihre männlichen Kollegen im Alter von 52 am finanziellen Zenit stehen. Sobald Frauen dann die 50er-Grenze erreichen, sinken die Chancen auf dem Arbeitsmarkt ins Bodenlose. Und privat? Niemand wundert sich über den Mitte 50-Jährigen, der via Kontaktanzeige eine hübsche Partnerin zur Familiengründung sucht – gerne zwischen 28 und 32. Im umgekehrten Fall müssen sich Frauen mit deutlich jüngeren Partnern eine Menge an Fragen gefallen lassen.

 

Sarah Jessica Parker bei der Met Gala 2018

George Clooney formulierte es einmal so: »Männer haben einen erheblichen Vorteil: Wir kriegen Falten, werden fett und glatzköpfig und keinen kümmert’s.« (Quelle hier) Damit benennt er einen wichtigen Aspekt. Denn offensichtlich wird Jugend als Top-Kriterium für weibliche Attraktivität und Leistungsfähigkeit angesehen. Dahinter steckt aber noch mehr: Nämlich, dass Fruchtbarkeit noch immer als Gradmesser für den Wert und damit die Würde einer Frau herangezogen wird. Legt man das zugrunde, wird deutlich, wie tief verwurzelt tradierte Rollenbilder sind. Eine Frau darf nicht alt sein. Das mindert ihren Wert. Die mit zunehmenden Lebensjahren abnehmende Reproduktionsfähigkeit wird als Anlass genommen, Frauen abzuwerten. Erschwerend kommt hinzu, dass Altersdiskriminierung zusätzlich noch mit Sexismus paktiert, von dem Frauen ohnehin betroffen sind. Das befördert die Fokussierung auf äußere Attribute der Weiblichkeit. Viele Frauen erleben, dass der Druck auf sie steigt, bis sie schließlich nach der Menopause – meist auch auf dem Job-Feld – »unsichtbar« werden.


Eine klare Absage an altersgerechte Kleidung

Frauen sind von Altersdiskriminierung stark betroffen. Viel stärker als Männer. Und exakt in diese Kerbe schlagen auch die Styling-Empfehlungen diverser Ratgeber für Frauen – ob sie es wollen oder nicht. Wie gesagt, schon ab 40 wird ein dezenterer Stil vorgeschlagen. In einem Artikel, den ich gelesen hatte, wurden ab 50 Pashmina-Schals angeraten, weil sie sich überwerfen lassen und nicht mehr so straffe Oberarme kaschieren. Ich kenne keine Styling-Rubrik, welche Männern empfiehlt, ihren Bauch mit einer Bauchbinde zu kaschieren oder unter einem voluminösen Sweatshirt zu verstecken. Oder der Mützen empfiehlt, um die Stirnglatze zu überdecken. Genau hier zeigen sich die Ungleichbehandlung sowie die konträre Bewertung des natürlichen Alterungsprozesses bei Männern und Frauen.

Ausschnitt, nein! Muster, nein! Farben, nein! – Die Frau ab 50 trägt am besten Rollkragen und Longweste. Na, danke!

Ich finde das empörend. Das muss sich ändern. Denn es reiht sich konsequent in die Serie von Ungleichbehandlung ein und zeigt sich damit als weiteres Symptom des altbekannten strukturellen Problems. Frauen werden ja nicht erst im Alter diskriminiert. Leistungen werden weniger anerkannt und ungleich vergütet (»Gender Pay Gap«), Alltagssexismus ist allgegenwärtig und auf viele Frauen warten im Alter finanzielle Sorgen.

Wenn gut gemeinte modische Empfehlungen sich also rund um das Alter ranken, dann läuft etwas gewaltig schief. »Altersgerecht« ist keine Kategorie für Fashion. Wer sich darauf beruft, zeigt damit nur, wie tief verwurzelt althergebrachte diskriminierende Muster sind. Und dass sie unbewusst wirken. Warum bitte, sollte eine Frau ab 40 oder 50 schlagartig den Modestil ändern und sich zunehmend hinter unauffälliger und angepasster, bestenfalls »klassischer« Kleidung verstecken?


An alle Frauen: Tragt einfach, was ihr wollt!

Nein, es geht nicht um altersgerecht. Es geht um typgerecht. Stil allein ist entscheidend. Und das ist die persönliche, altersunabhängige Entscheidung einer jeden Frau. So sieht das auch die Modebloggerin Yasmin Furmie. In einem Interview mit der Medienplattform »Refinery 29« sagt sie: »Der schlimmste Rat, den es in meinen Augen gibt, ist es sich für ein bestimmtes Alter anzuziehen. Ich trage, was ich will. Wenn ich etwas mag, was 20-Jährige mögen, who cares? Es gibt keine Formel und kein Rezept mehr. Frauen sehen in jedem Alter gut aus, wenn sie das tragen, worin sie sich wohlfühlen.«

Denn was ist attraktiver als sich selbst treu zu bleiben und seinen ganz individuellen Stil – auch gegen diskriminierende gesellschaftliche Normen – zu kultivieren? In ihrem Artikel aus dem Jahr 2016 »Don’t dress your age«  fordert die Autorin Julia Baird Frauen in der New York Times dazu auf, sich nicht wie Schafe in einer Herde von den Fashion-Tipps für ein bestimmtes Alter beeindrucken zu lassen – mit großem und positivem Echo vieler Frauen, welche das exakt so empfinden.

Die wunderbare Iris Apfel stylt sich genauso wie sie möchte -auch noch mit 99.

Für mich und für viele andere ist Iris Apfel ein positives Vorbild. Die Stilikone kleidet sich mit 99 Jahren cool, individuell und extravagant. Sie bleibt sich und ihrem Stil auf begeisternde Weise treu. Ungeachtet aller Ratgeber. Damit ist sie für mich ein leuchtendes Beispiel wider die Altersdiskriminierung. Jemand, die Selbstbewusstsein gegen Unterdrückung stellt. Lasst uns in Würde alt werden – und bitte, jede von uns mit ihrem ganz persönlichen Stil!

Wie empfindest du Styling-Ratgeber, welche »altersgerechte« Outfits vorstellen? Schreib mir gern in den Kommentaren, wenn dich das Thema auch beschäftigt.

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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