Jun 21, 2022

Darüber müssen wir reden! Die neue Sicht auf die Menstruation

Jede von uns hat es vermutlich schon einmal gedacht – im Office, im Gym, beim Yoga oder unterwegs: Hoffentlich passt alles mit dem Tampon oder der Binde, so dass man kein Menstruationsblut an meiner engen Leggings oder der Business-Hose sieht. Weiße Hosen werden während der Tage gleich ganz vermieden. Ich erinnere mich an eine Szene in der U-Bahn während einer Baumesse, als ich, im überfüllten Abteil stehend, die sitzenden fast ausschließlich männlichen Messegäste wahrnahm – und Zack, war obiger Gedanke in meinem Kopf. Ich fing an, so gut es ging meine Kleidung zu kontrollieren und fühlte mich äußerst unwohl. Da habe ich angefangen darüber nachzudenken und seither ist mir einiges ein- und aufgefallen.

Kennst du das auch? Die Frage nach Tampons oder Binden passiert hinter vorgehaltener Hand – so als könnte man nicht laut darüber sprechen. In der Werbung für Monatshygiene-Produkte heißt es generisch: »Es hilft da, wo es passiert.« und dann erscheint blaue Flüssigkeit, die auf Binden geträufelt wird. Warum eigentlich Blau? Weitergedacht: Sonst hat die Filmbranche doch auch kein Problem, Blut in rauen Mengen fließen zu lassen – Blut, das durch Gewalteinwirkung entstanden ist. Aber Menstruationsblut, eine der natürlichsten Sachen der Welt, wird kaum gezeigt. Erst im September 2021 hat Always als Pionier in einer seiner Werbungen erstmals das Tabu gebrochen und rote statt blaue Flüssigkeit genommen.

Menstruationsblut

Seit kurzem wird unser Periodenblut endlich auch so dargestellt wie es ist: Rot.

In Baumärkten hängen Plakate mit der für das männliche Auge inszenierten »sexy Heimwerkerin«, ständig wird über Körper, Gewicht und Maße geredet – aber über die Vulva und die Periode wird verschämt geschwiegen. Es gibt ganz offensichtlich ein gesellschaftliches Tabu, dem ich auf den Grund gehen will. Warum ist der Blick auf den weiblichen Körper so unvollständig, warum ist ein vollkommen natürlicher Vorgang wie der weibliche Zyklus so schambesetzt, was hat zu diesem toxischen Verhältnis zum weiblichen Körper geführt?

Stigmatisierung der Menstruation und historisch verfestigtes Tabu

Los ging es in der Geschichte der Menschheit schon früh: Die christliche Lehre schuf einen Zusammenhang zwischen dem Sündenfall, also der Vertreibung aus dem Paradies, und der Monatsblutung. Weil Eva nicht auf Gott gehört hatte, wurde sie – so wurde es gepredigt – mit der monatlichen Blutung bestraft. Interessant ist, dass sich diese und ähnliche Deutungen auf der ganzen Welt und in unterschiedlichen Kulturen finden. Sämtliche Weltreligionen erklärten Frauen auf Grund ihrer Blutungen für »unrein«. Bei den Christen durften Frauen folglich nicht zur Kommunion gehen, wenn sie ihre Tage hatten oder nicht kochen. Das, was wir heute noch aus Afrika kennen, dass Frauen während ihrer Periode ausgegrenzt werden, gab es in allen Kulturen. Frauen gelten in dieser Zeit als »unrein« und werden geächtet. Heute engagieren sich Hilfsorganisationen in Afrika für junge Mädchen und Frauen, die aus Angst und Scham während der Periode nicht zur Schule gehen – auch, weil der Zugang zu Hygieneartikeln nicht möglich oder schlicht unbezahlbar ist. Das Ergebnis? Sie verpassen bis zu 20% des Unterrichts und brechen die Schule ab. In vielen Ländern gab es sog. Menstruationshütten, also Orte, an denen sich die Frauen während der Periode absondern sollten. Wir reden also von einem flächendeckenden Phänomen, das unterschwellig auch in der zivilisierten westlichen Welt wirkt.

Periods are universal

Periods are universal

»Die hat wohl ihre Tage« als Abwertung von Frauen

Dieser Satz findet sich heute noch im allgemeinen Sprachschatz. So lapidar er heute oft daher gesagt wird, so lange ist seine traurige Tradition. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Menstruation als weibliche Schwäche, Krankheit oder psychische Störung deklariert. Diese Lesart wurde zum mächtigen Mittel, um Frauen aus dem öffentlichen Raum zu drängen und daran zu hindern, zu studieren, politisch aktiv zu sein oder Juristin zu werden. Also konkret, um sie zu diskriminieren. Frauen liefen Gefahr, während der Periode »verrückt« zu werden, so hieß es. Es gab unzählige Publikationen von Ärzten, die vor der Unzuverlässigkeit, Irrationalität und Labilität des weiblichen Geschlechts warnten. Aufklärung, die Weltkriege (wo man auf die Arbeitskraft der Frauen angewiesen war) und der aufkommende Kapitalismus haben die Betrachtungsweise zumindest relativiert.

»Wir haben uns endlich vom christlichen Menstruationstabu befreit. Aber an seine Stelle ist ein anderes Tabu getreten, ein Zwang zur Diskretion«

_ Kaat Wils, Historikerin

Ab jetzt durften Frauen mitspielen, aber unter einer Bedingung: Dass sie sich nicht anmerken ließen, wenn sie ihre Tage hatten, sich also einer weiteren männlich vorgegebenen Norm unterwarfen und sich den Männern gleichmachten. Tampons, die in den 50er Jahren auf den Markt kamen, waren ein gutes Mittel, um die Blutungen noch diskreter zu verbergen als mit Binden. So entstand ein neues Tabu, dass die Rolle der Frau zwar einerseits stärkte, es ihr aber andererseits erschwerte oder verunmöglichte, über ganz normale Beschwerden während der Regel zu sprechen. Kennen wir das nicht auch irgendwoher? Statt zu sagen, dass man höllische Bauchkrämpfe hat, wird vor allem gegenüber Männern oder im Job noch immer häufig von Kopfschmerzen geredet. Irgendwie sind wir immer noch darauf bedacht, die Monatsblutung zu verbergen. Viele Frauen sprechen nicht gern darüber, wenn sie unter der Menstruation leiden. Den Kollegen sagen sie lieber, dass sie schlecht geschlafen haben, und auf dem Weg zur Toilette verstecken sie den Tampon in der Hosentasche. Was wäre eigentlich, wenn Männer ihre Tage hätten? Wie würde dann darüber gesprochen?

ENDLICH das Tabu brechen – Free Bleeding, Menstruations-Yoga & Perioden-Talk

Am 28. Mai 2022 war der »Internationale Tag der Menstruationshygiene«, den es immerhin seit 2014 gibt. Start-ups entwickeln und verkaufen nachhaltige Hygieneartikel zu fairen Preisen ohne Pink Tax Zuschlag und in den Sozialen Medien wurde 2017 zum Jahr der #PeriodPositivity gekürt. Es gibt grundsätzlich mehr Offenheit dafür, die alten Kategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit zu hinterfragen. In diesem Zuge wird endlich auch die lange totgeschwiegene Menstruation zum Diskussionsthema. Die Richtung stimmt also, auch wenn es auch in unseren sog. »aufgeklärten« Gesellschaften noch viel zu verändern gibt. Ja, es gibt sie, eine neue Welle der Menstruationsaufklärung, welche durchaus als Maßnahmen zum Abbau von Scham verstanden werden kann.

Ausgewählte Bücher über Menstruation

Ausgewählte Literatur zum Thema Menstruation

Einige Frauen gehen förmlich zum Gegenangriff über und fotografieren ihre blutigen Tampons, um diese unter dem Hashtag #Menstruationskunst zu posten. Um Dinge zu bewegen, muss Provokation sein – ich stimme voll zu. Auf der neuen roten Welle schwimmen auch Britta Wiebe & Jamin Mahmood. Zusammen gründeten sie 2021 Vulvani, mit dem klaren Ziel, die Bildung rund um den eigenen Köper zu enttabuisieren. Vulvani versteht sich als digitaler Bildungsmarktplatz rund um Menstruation, Zyklusgesundheit und Sexualität. Die Gründerin und der Gründer von Vulvani bieten auf ihrer Website sachliche Aufklärung, ein Online-Magazin, Online-Kurse und die Vulvani Gallery. Letztere stellt kostenlos authentisches Bildmaterial zur Verfügung, das die Menstruation natürlich darstellt. (Auch dieser Artikel ist zum Großteil aus deren toller Galerie bebildert.) Dort findest du keine bläulich-verwässerte Farbe auf den downloadbaren Stock-Fotos, sondern echtes, weibliches Blut in Rot. Junge Frauen machen Kunst mit ihrem Menstruationsblut, nicht in erster Linie, um damit zu provozieren, sondern vor allem, um das Verhältnis zum eigenen Körper neu zu erfahren. In vielen Familien wurde und wird die Periode – wie schon beschrieben – schlicht totgeschwiegen, oder maximal zwischen Mutter und Tochter diskret und flüsternd besprochen. Juchhu – hier ist sie, die Gegenbewegung zu all der Heimlichtuerei. ENDLICH. »Zyklusbewusstsein als Superpower« (so Vulvani) also statt verschämtes Schweigen.

Dazu gehört auch Aufklärung darüber – besonders für junge Mädchen –, was konkret im weiblichen Körper passiert und dass die krampfartigen Regelschmerzen durch die wellenartige Kontraktion der Gebärmuttermuskulatur entsteht. Das alles kostet den Körper ordentlich Energie. Die Menstruation ist keine Bagatelle und kann sich beispielsweise auch für Leistungssportlerinnen im Wettkampf extrem nachteilig auswirken. Und genau deswegen müssen wir mehr darüber reden!


»Etwa 30% aller Frauen leiden unter so starken Regelschmerzen, dass sie ihren Alltag in den ersten Tagen ihrer Periode nicht bewältigen können.«

_erdbeerwoche-Umfrage 2017

Genau das tat die chinesische Tennisspielerin Qinwen Zheng kürzlich und brach das Tabu: Nach einer Niederlage sprach sie über ihre Menstruation – damit startete sie eine Diskussion über das bisher verschwiegene Thema. »Ich wünschte, ich könnte auf dem Platz ein Mann sein«, sagte Qinwen Zheng nach ihrem Ausscheiden bei den French Open.

Denn für Frauen kann Menstruation im Wettkampf ein ernsthaftes Problem sein. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist kurz vor der Menstruation und während der ersten Tage der Menstruation am niedrigsten. Dass ausgerechnet das Thema Menstruation im Sport bisher so wenig thematisiert wurde, ist schon erstaunlich. Sportwissenschaftlerinnen sind sich einig, dass »das Schmerzphänomen während der Periode es unglaublich erschwere, alltägliche Aktivitäten zu meistern – und für Leistungssportlerinnen sei es mit Schmerzen dreimal so schwer. Als Folge nähmen viele Athletinnen die Pille durch, um dauerhaft keine Periode zu bekommen. Viele sähen das für ihr Training und Wettkämpfe als Segen, aber es sei eher ein Fluch« (frei nach Saba Shakalio, Sportwissenschaftlerin). Das alte Motto »The show must go on« findet glücklicherweise immer weniger Zuspruch. Die Dinge werden endlich benannt und damit enttabuisiert. Denn das Wegignorieren von Menstruationsbeschwerden ist ein Problem für jede einzelne Frau. Umso mehr sollten wir Werbung boykottieren, die uns erzählen will, dass wir uns während unserer Tage mit der richtigen Binde oder Slipeinlage mit Blümchenduft wunderbar fühlen. Das ist eine unzulässige Bagatellisierung sowie eine Desinformation besonders für junge Mädchen und Frauen.

Umso besser ist es, dass immer mehr Strömungen und Trends entstehen, um das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken. Eine davon ist »Free Bleeding« mit dem Ziel, Frauen die Gewissheit zurückzugeben, dass sie ihrer Periode nicht ohnmächtig ausgeliefert sind. Sondern, dass sie sie gestalten können. Die Haltung dahinter: »Meine Menstruation und ich sind ein Team, sie darf jeden Monat zu Besuch kommen.« Die Methode: Die Menstruierende lässt das Blut gezielt in die Toilette fließen statt es aufzufangen. Dafür braucht es wohl etwas Übung. Um das zu erlernen, werde online Kurse angeboten. In eine ähnliche Richtung gehen Angebote wie »Zyklus-Yoga«, um die eigenen »innere Jahreszeiten« besser kennen zu lernen. Zugegeben: Nicht alles, ist für jede von uns das Richtige, in Summe bin ich von all dem extrem begeistert – jede Beschäftigung, jedes Gespräch, jede liebevolle Auseinandersetzung mit unserem Zyklus ist ein guter Weg, um sich selbst besser kennen und lieben zu lernen. Selbstakzeptanz ist der sicherste Schutz gegen Tabuisierung.


Die rote Welle

Dass etwas in Bewegung geraten ist, zeigt sich auch daran, dass die Industrie sich anpasst. Die veränderte Haltung zeigt sich – neben dem Trend zum Free Bleeding für mehr Natürlichkeit – auf der anderen Seite an einem erweiterten Angebot an mehr oder weniger sinnvollen »innovativen« Hygieneartikeln.

Ohne Frage können Tampons, Binden, Menstruationstassen und Periodenunterwäsche uns ganz praktisch unsere (Bewegungs-)Freiheit zurückgeben. Aber was sich da sonst noch so auf dem Markt findet, hinterlässt mich kopfschüttelnd. Ein »Schamlippenkleber« soll die Schamlippen verschließen, so dass das Blut erst beim nächsten Toilettengang herausfließen kann – angeblich löst der Urin die Verklebung auf. Details über die weibliche Anatomie, die das Prinzip schon per se ad absurdum führen, spare ich mir hier. Eine neuartige Menstruationstasse soll sich mit dem Smartphone verbinden und neben Auskunft über den Füllstand auch noch den Zyklus optimieren. Anatomisch fragwürdig finde ich auch den batteriebetriebenen Tampon »Tamia« , der Menstruationsschmerzen durch Vibration lindern soll. Auch Marketing-Versprechen wie »Frischeduft in der Slipeinlage« sind nicht zu trauen, meist handelt es sich dabei um synthetische Duftstoffe, die an sensiblen Körperpartien im schlimmsten Falle Allergien auslösen und uns zudem suggerieren, dass wir schlecht riechen würden.

Periodenprodukte

Tampon, Tasse oder Mens-Slip? Periodenprodukte werden immer besser.

Glücklicherweise gibt es auch viele sehr positive Beispiele. Ich stelle dir im Folgenden ein paar engagierte Start-ups im Fem-HealthCare-Segment vor:

► AllMatters gegründet in Kopenhagen, entwickelte nicht nur eine preisgekrönte Menstruationstasse, sondern fungiert auch als Plattform für mehr Bewusstsein rund um Menstruation. Mit der Initiative »Taboo: Global Periods« deckt AllMatters die negativen Auswirkungen der Menstruation auf das Leben von Teenagern auf der ganzen Welt auf.

Mehr Infos unter allmatters.com

► Thinx  ist ein Unternehmen für Hygieneprodukte, das menstruationsgeeignete Unterwäsche entwickelt hat, die vollständig über Kickstarter-Programme finanziert wird. 2020 startete Thinx eine Kampagne, um Frauen in Entwicklungsländern durch gezielte Partnerschaften zu stärken.

Mehr Infos unter shethinx.com

► Daye, ein Londoner Start-up, entwickelt Produktinnovationen gegen Regelschmerzen. Das Unternehmen hat einen Tampon auf den Markt gebracht, der mit CBD (Cannabidiol) als Alternative zu herkömmlichen Schmerzmitteln gegen Menstruationsbeschwerden hilft.

Mehr Infos unter yourdaye.com

Es gibt also aus vielen Richtungen Initiativen und Trends, die einen inklusiveren Umgang mit der Menstruation fordern und fördern. Ich komme zu dem Schluss, dass viel mehr in Bewegung ist, als ich angenommen hatte und ich hoffe, dass auch Eltern – Väter wie Mütter – ihren Töchtern eine positive und offene Haltung mit auf den Weg geben. Wir sollten mit Männern wie Frauen noch mehr über die Periode sprechen, denn Menstruation ist viel zu wichtig, als dass man sie ignorieren könnte.

Lasst uns also anfangen darüber zu sprechen! Kennst du noch Unternehmen, die tolle und vor allem hilfreiche innovative Produkte für Frauengesundheit auf den Markt gebracht haben? Sammeln wir sie in den Kommentaren!


Fotos: Vulvani Gallery CC 4.0

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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