Jun 17, 2019

Designer und ihre Musen. Über ganz besondere Beziehungen.

Aktualisiert am 2. Dezember 2021

Es ist eines der am meisten bedienten Klischees – Künstler und ihre Musen. Kreative also, die sich mit Menschen umgeben, die sie auf eine oder andere Weise inspirieren. Der Vorstellung nach soll schon die pure Anwesenheit genügen, um Ideen sprühen zu lassen. Im antiken Griechenland war man überzeugt, dass Künstler auf die Arbeit göttlicher Musen angewiesen sind, um über sich selbst hinauswachsen zu können. Heute hat sich das Bild der Muse gewandelt. Es gibt nicht den einen Prototyp von Muse, sondern viele unterschiedliche Formen von Beziehungen und Begegnungen, welche anregend sein können. Und zwar im Idealfall für beide Seiten. Für euch habe ich mich mit erfolgreichen Designern und Designerinnen beschäftigt – und mit den Menschen, die ihr Schaffen wesentlich beeinflusst haben.

Die Sache mit der Inspiration

Auch in der Mode gibt es sie häufig – die besondere Verbindung zwischen dem Schöpferisch-Kreativen und seiner Muse. Diese Bündnisse dauern oft viele Jahre an. Eines der bekanntesten Beispiele ist die enge, lebenslange Freundschaft, die Designer Hubert de Givenchy mit Audrey Hepburn verband. Die Schauspielerin hatte mit ihrer Art, die sie von den klassischen Hollywood-Diven unterschied, Givenchys Sicht auf seine eigenen Kreationen verändert. Und damit neuen Ideen die Tür geöffnet. Weil sie selbstbewusst und stark war, inspirierte Sie Givenchy. Er wurde ihr persönlicher Schneider. Seine Kreationen waren für sie mehr als Kleidung, sie empfand sie als treffenden Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Hier ist schon zu spüren, dass besondere menschliche Sympathie und Zuneigung den Unterschied machen können. Aus heutiger Sicht entstand so die erste offizielle Kooperation zwischen einer Schauspielerin und einem Designer.

Botschafterin eines Looks: Mode(l)macher Karl Lagerfeld und Claudia Schiffer

Sie kamen und gingen – die Musen von Karl Lagerfeld: Stilikone Inès de la Fressange, Sängerin Vanessa Paradis, Model Kate Moss, Cara Delevingne oder zuletzt Kaia Gerber. Zu diesem Kreis zählen auch Schauspielerinnen wie Diane Kruger und Tilda Swinton. All diese Frauen – und manchmal auch Männer wie Model Jean Baptiste Giabiconi – haben dem Modepapst auf ihre Weise geholfen, den Zeitgeist zu erfassen und einzigartig zu interpretieren. Seine Musen wurden häufig zu wichtigen Botschaftern seiner Kollektionen, füllten diese mit Spirit oder verkörperten angesagte Beauty-Ideale. Letztlich trugen sie seine Kreationen in die Welt.

Eine der bekannten Musen Karl Lagerfelds war Topmodel Claudia Schiffer. Er hatte sie in den 80er Jahren entdeckt, nachdem sie das Gesicht der GUESS Jeans-Kampagne geworden war. Weil er in ihr eine neue Brigitte Bardot sah, schickte er sie für Chanel über den Laufsteg. 1988 wurde sie offiziell das Hausmannequin des Labels. So leitete der Mode(l)macher in der Karriere der Deutschen die entscheidende Wende ein: Anfang der 90er Jahre war Claudia Schiffer das teuerste Model der Welt und zugleich Miturheberin einer neuen Fotomodellgeneration. Karl Lagerfeld hatte aus dem „schüchternen deutschen Mädchen“, wie Claudia Schiffer einmal über sich selbst sagte, ein Supermodel gemacht. Von ihm hatte sie alles über das Fashionbusiness gelernt. Im Gegenzug dafür war sie lebendiger Ausdruck seines Stils. Für Chanel fotografierte er das Model mit Staffelei und Pinsel in Südfrankreich und kreierte damit eine künstlerische, leicht ironische Welt.

Letztlich aber kam das Unvermeidliche: Karl Lagerfeld suchte bekanntlich bei den Schönen und Talentierten Inspiration. Und so liegt es fast in der Natur der Sache, dass eine Muse früher oder später ausgetauscht wird. Der ständige Wandel von Trends und Stilen gehört zur Modewelt wie zu keiner anderen Branche dazu. Alles ändert sich immer wieder, Stile wechseln saisonal und grundsätzlich wird Ungesehenes nachgefragt: „Die kann ich nicht mehr sehen“, so wird kolportiert, hätte sich Lagerfeld geäußert. Claudia Schiffer, als Vollprofi bekannt, hat das nie kommentiert. Sie sah ihre Rolle als Model daran, die perfekte Projektionsfläche zu sein.

Inspiration auf Augenhöhe: Yves Saint Laurent und Loulou de La Falaise

Ein weniger schnelllebiges Verständnis von Inspiration und damit eine andere Beziehung zur Muse konnte man bei Yves Saint Laurent und Loulou de La Falaise beobachten. Die Engländerin, deren Mutter in New York im Dunstkreis Andy Warhols unterwegs war, posierte für Fotografen wie Helmut Newton und Irving Penn. Zurück in London arbeitete sie als Redakteurin für den heutigen Harper’s Bazaar. In einem Pariser Club lernte sie Ende der 1960er Yves Saint Laurent kennen.

 

Der Modeschöpfer war fasziniert von ihrer eleganten Interpretation des Hippie-Stils, ihrer Extravaganz und der erfrischenden Ungebremstheit ihrer Persönlichkeit. Im Jahr 1972 heuerte er sie per Vertrag als „Muse“ an. Eine Verbindung, die länger als drei Jahrzehnte halten sollte und in jungen Jahren durchtanzte Nächte im Studio 54 in New York einschloss. Als Accessoire-Designerin entwarf Loulou alle Accessoires sowie die Strickkollektion. Eine kongeniale kreative Geschäftspartnerschaft, in welcher Yves Saint Laurent die Formen perfektionierte und sie die Farben. Ihr Gefühl für Nuancen, ihre Fantasie und ihr Hedonismus gaben den Kreationen eine eigene Energie und Frische. Und Loulou war es auch, die Yves Saint Laurent zum ersten Smoking für Frauen inspirierte: Le Smoking Tuxedo.

Schicksalhafte Begegnung: Seelenverwandtschaft von Marc Jacobs und Sofia Coppola

Sie trafen sich das erste Mal in den 90ern bei einer der Schauen, als Marc Jacobs noch für Perry Ellis designte und seine umstrittene Grunge-Kollektion präsentierte: Sofia Coppola war mit ihrer Mutter Backstage und begann sich mit Marc zu unterhalten. Schnell war klar, dass sie auf einer Wellenlänge lagen – egal, ob Kunst, Musik, Interior, Bücher oder Design. Auf gewisse Weise war es Liebe auf den ersten Blick. So begann die vielleicht produktivste platonische Liebesgeschichte der Modewelt. Sie zogen gemeinsam durch die New Yorker Clubs und sahen die Welt mit ähnlichen Augen. Eine Beziehung, die von Anfang an voller Vertrauen war – so als wären sie aus einer Familie.

Marc Jacobs und Sofia Coppola wurden – jeder für den anderen – eine Art moderne Muse. Die Produzentin, Drehbuchautorin und Regisseurin wurde für ihren Film Lost in Translation mit dem Oscar ausgezeichnet. Der Designer etablierte nach langen Jahren als Kreativdirektor bei Louis Vuitton sein eigenes erfolgreiches Label in New York.

In den Jahrzehnten ihrer Freundschaft hat Sofia für Marc Jacobs bei Vuitton eine Taschenkollektion entworfen, die SC-Kollektion, und mit ihm an Accessoires gearbeitet. Marc Jabobs hat ihr eine Tasche gewidmet, die Sofia Bag. 2001 war Sofia das Gesicht seines ersten Parfums. Gemeinsam arbeiteten sie 2014 an der Werbekampagne für Marc Jacobs weiterentwickelte Duftlinie Daisy Dream. Sofia übernahm die Regie für den Werbespot.

Auch bei seiner neuen Modelinie The Marc Jacobs arbeitet der Designer mit Sofia Coppola zusammen. Das Interessante bei den Beiden ist, dass jeder von ihnen sich im Metier des Anderen tummelt. Sofia kreiert Mode, Marc konzipiert Filme mit. Vielleicht hat das auch mit dem ähnlichen ästhetischen Empfinden zu tun, das Branchengrenzen spielend überwindet und dazu anregt, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Oder wie Marc Jacobs in einem Interview sagte: “When friendships are genuine they last.”

Stolze Frauen, die Mutter und Tochter sein könnten: Donatella Versace und Lady Gaga

Ähnlichkeit schafft Anziehung. So könnte die kreative und menschliche Basis zwischen der Designerin Donatella Versace und der Sängerin Lady Gaga entstanden sein. Beide Frauen haben italienische Wurzeln und inspirieren sich in Bezug auf ihre Arbeit wechselseitig: Donatella Versace holte Lady Gaga als Gesicht für die Kampagne des Labels und machte sie zum populärsten Model des Modehauses. Bei vielen Red Carpet Anlässen sieht man die Sängerin in Versace Roben. Lady Gaga widmete Donatella einen Song auf ihrem Album Artpop.

Die beiden Blondinen, die rein optisch tatsächlich Mutter und Tochter sein könnten, schwärmen jeweils von der anderen. Vieles, was sie übereinander sagen, zeigt, dass sie sehr verbunden sind und sich miteinander identifizieren. Sie wertschätzen und bewundern sich gegenseitig. Werte wie Emotionalität, Stolz und Neugierde vertreten beide. Weder die Designerin noch die Musikerin halten etwas von zu vielen Kompromissen. Wenn sie miteinander Zeit verbringen, entstehen meist neue Ideen. Man darf gespannt sein.

Muse ist nicht gleich Muse

Moderne Musen sind mehr als die Verkörperung der Schönheitsideale ihrer Zeit. Das kann auch eine Rolle spielen, oft kommen aber eine enge persönliche Verbindung und ein ähnliches ästhetisches Empfinden hinzu. Um Kreativität anzuregen, reichen rein optische Signale auf Dauer nicht aus. Moderne Musen brauchen keine Gönner, sondern sind Partner auf Augenhöhe. Wenn zwei Menschen, die interessant und voller Ideen sind, aufeinandertreffen, kann etwas entstehen. Diese spannende Dynamik ist das Geheimnis von Inspiration.

Wie seht ihr das? Habt ihr auch den Eindruck, dass sich etwas verändert hat? Dass eine Muse mehr ausmacht als ihre Schönheit? Schreibt mir gern eure Meinung in den Kommentaren.

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

Ein Kommentar

  • Ginny says:

    Hallo, ich bin zwar keine designerin aber eine autorin und auch ich hatte schon so einige musen. Für mich sind das zu meist männer, die heftige reaktionen in mir auslösen, meine gefühle ins chaos stürzen und das feuer der leidenschaft wecken oder mich innere kämpfe ausfechten lassen. Bei frauen ist es dann tatsächlich die schönheit, anmut und sanftheit die mich inspiriert. Dabei objektiviere ich frauen nicht, sondern empfinde tiefe verehrung und bewunderung. In beiden fällen steht also nicht der geistige austausch oder die kreative arbeit sondern die beziehung uund das gefühl im mittelpunkt, wenn ich solchen menschen begegne. Die meisten wissen gar nicht das sie meine musen waren oder sind.

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