Mrz 5, 2021

Muttertag versus Vatertag. Was sind denn das für Sitten?

Irgendwann habe ich angefangen, mich zu wundern – und mittlerweile komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: Jedes Jahr finden kurz hintereinander Mutter- und Vatertag statt. Es gibt kaum zwei Tage, die sich vom typischen Tagesprogramm mehr unterscheiden. Während am Muttertag – immer ein Sonntag (diese Jahr am 9. Mai) – die Mutter ein paar Blumen erhält, sich die Familie trifft und man etwas gemeinsam unternimmt, scheint der Vatertag unter dem Motto »Kampftrinken« zu stehen.

Also »Familiensonntag« versus »Große Freiheit«? Blumen, Schokolade und »heute muss Mama mal nicht kochen« versus »Männlichkeit, Sich-mit-den-Kumpels-besaufen, Bier und Leiterwagen«? Ehrlich? Und das im Jahr 2021? Am Vatertag an Pfingsten, dieses Jahr vier Tage nach dem Muttertag am 13. Mai, begegnen einem traditionell Männerhorden im höheren Promille-Bereich. Und das auf Wanderwegen, in Biergärten oder in der Stadt. Der »Herrentag« dient also ganz dazu, sich einmal von der Familie frei zu nehmen, während die Frauen am Muttertag beim Kaffeekränzchen an ihre »Pflichten« in der Familie erinnert werden. Ja, ich treibe mit dieser Betrachtung die Klischees auf die Spitze – aber nur so wird das Dilemma dieser Traditionen deutlich: Denn die Art und Weise, wie Vater- und Muttertag begangen werden – einmal fernab und einmal im Rahmen der Familie – verweist auf tradierte Geschlechterrollen.

Aufgepasst! Mutter- und Vatertag zementieren Geschlechterrollen

Frauen sind Mütter und gehören in die Küche? Männer sind Versorger und sollen einmal im Jahr trinken und ihren Spaß haben – ohne ihre Frauen versteht sich! Schon auf den ersten Blick merkt man, dass hier etwas ganz und gar nicht (mehr) stimmt. Zumal in einer Zeit, in der statistisch gesehen in Deutschland Mütter immer früher wieder in den Beruf einsteigen und ihre Stundenzahlen im Job auch stärker ausweiten. Dabei sollte es doch an diesen Ehrentagen eigentlich um Dankbarkeit gehen, oder etwa nicht? Stattdessen zementieren die jedes Jahr wieder zelebrierten Mutter- und Vatertage althergebrachte Vorurteile und Rollenklischees. Wie kann das sein? Manchmal hilft ein Blick in die Vergangenheit.

Ein Strauß Blumen für die Mütter, Gebasteltes von den Kids, ein Festessen (von den Müttern selbst gemacht) oder bestenfalls bestellt und danach ein Kaffeekränzchen – so läuft er auch heute noch meist ab, der Muttertag in Deutschland.

Eine lange Geschichte: Woher kommt eigentlich der Muttertag?

Viele behaupten ja, der Muttertag sei eine Erfindung des Einzelhandels und der Floristen-Verbände, um die Verkäufe von Blumen und Pralinen in die Höhe zu treiben. Ja, und diese gewerblichen Interessen spielen tatsächlich eine gewisse Rolle, aber erst viel später. Denn die historischen Wurzeln lassen sich tatsächlich bis in die Antike zurückverfolgen. Im antiken Griechenland gab es einen Mutterkult, welcher sich in der Verehrung der Götting Rhea zeigte. Ähnliche Traditionen finden sich auch im alten Rom und später im 13. Jahrhundert in England. Dort feierte man den sog. »Mothering Sunday«. Die US-Amerikanerin Anna Marie Jarvis setzt die Tradition im Jahr 1907 auf ihre ganz persönliche Weise fort – nämlich in Form eines Gedenkgottesdienstes für ihre Mutter.

Wie erwähnt kommen die Floristen erst viel später ins Spiel: 1923 initiierte der »Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber« den Muttertag in Deutschland. Damals war das aber noch kein offizieller Feiertag, sondern lediglich eine Empfehlung. Erst im Laufe der 1920er Jahr fasste der Muttertag Fuß in Deutschland – und zwar als Festschreibung der Frau auf die Rolle mit der Hauptaufgabe Mutter. Erst 1933 wurde der Muttertag zum offiziellen Feiertag in Deutschland gemacht. Die Nationalsozialisten kaperten und benutzten den Mutterkult für ihre Ideologie, das die Bestimmung der Frauen sein, in erster Linie »deutsche Nachfahren« zu gebären.

In der ehemaligen DDR wurde am 8. März der »Internationale Frauentag« gefeiert. Dabei standen die Selbstständigkeit und Gleichberechtigung der werktätigen Frau im Fokus. Man lehnte die Auslegung des Muttertages nach westlichem Vorbild ab. Die Bundesrepublik hingegen blieb bei dem Muttertag – nach wie vor verbunden mit dem klassischen Rollenbild »Hausfrau und Mutter«. Dieses Verständnis gipfelte 1982 in der empörenden Aussage des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl in einem Interview: »Meine Hochachtung unseren Müttern, die ein Leben lang ihre Pflicht getan haben, ohne zu protestieren.«

Die gute Mutter nimmt ohne zu Klagen das gesamte Leid der Welt auf ihre Schulter. Protest resultiert indes auch heute noch viel zu oft im Mombashing.

Schnell erklärt: Der Vatertag

Sucht man nach den Ursprüngen des Vatertages, ist die Faktenlage dünn. Die Historikerin Susanne Rouette veröffentlichte einen Beitrag »Fundstücke zum Vatertag«. Sie fand eine Quelle von 1933, in welcher die Rede von einer » ausgelassene Herrenpartie auf Wägen und los von Muttern« war. In einem weiteren Bericht aus den 1970er Jahren wurde der Vatertag als Möglichkeit für Väter ihre spielerischen Bedürfnisse auszuleben beschrieben. Bedürfnisse, welche sie sonst in ihrer vernünftigen Ernährer-Rolle nicht ausleben können. Auf dieser Basis haben sich die uns bekannten Vatertags-Feiern entwickelt. So wirklich schlüssig sind die Quellen aber nicht. Und man muss viel interpretieren, um zu einer fundierten Herleitung zu kommen. Letztlich ist der Vatertag als Gegenstück zum schon etablierten Muttertag entstanden.

Handkarren gepackt und los geht die Sause. Ein ganz normaler Vatertag in Deutschland.

Mutter- und Vatertag passen nicht mehr in unsere Gesellschaft

Manchmal hilft ein Blick in die Geschichte ja – und im Hinblick auf Mutter- und Vatertag zeigt sich klar, dass rein historisch gesehen beide Tage ein genau festgelegtes Rollenverständnis zugrunde legen und schlimmer noch untermauern. Und zwar tatsächlich mit beiden Tagen. Der Vatertag als Termin, um einmal fern der Familie exzessiv aufzuleben, der Muttertag als Tag zu Ehren der Fruchtbarkeit und Gebärwilligkeit der Frau. Nicht zu vergessen und ein besonders trauriges Kapitel in der Geschichte des Muttertages: Die ideologische Instrumentalisierung der »deutschen Mutter« durch die Nationalsozialisten und damit die große Bedeutung des Muttertags in der NS-Zeit. Entspricht dieses Rollenverständnis unserer heutigen Gesellschaft? Das ist in Anbetracht der gesamtgesellschaftlichen Realität eine rhetorische Frage!

Ein Hoch auf die Vielfalt

Die Antwort ist ein klares »Nein«, denn eindimensionale Rollenbilder sind nicht mehr zeitgemäß. Und das ist noch freundlich formuliert. Der Muttertag ist im Kern sexistisch. Und verstetigt jedes Jahr auf’s Neue ein überholtes Frauen- wie Männerbild. Zusätzlich diskriminiert das Festhalten daran auch Familien-Modelle wie Patchwork, homosexuelle Ehen, soziale Elternschaft oder Alleinerziehende. Ganz zu schweigen von der individuellen Aufgabenverteilung bei Paaren: Auch Männer nehmen Elternzeit oder bleiben mit dem Kind ganz zuhause, kümmern sich um die Erziehung oder den Haushalt.

Kochen, Putzen, Kinder erziehen. Viel realistischer: Care-Arbeit und Haushalt wird heute zu beiden Teilen gleich übernommen.

Viele Männer lieben genauso Blumen oder Süßigkeiten und Frauen trinken gern Bier. Statistisch gesehen ist es ohnehin mittlerweile so, dass der Vatertag häufiger von Nicht-Vätern zelebriert wird. Weil viele Männer eben lieber einen Ausflug mit ihren Liebsten machen als sich männerbündnerisch kollektiv zu betrinken. Das alles ist genauso Teil unserer gesellschaftlichen Realität. Denn unsere Gesellschaft ist divers und voller individueller Ausgestaltung – und das ist gut so! Die Konsequenz für mich ist klar:

Lasst uns den Muttertag abschaffen!

… und den Vatertag auch. Lasst uns Schluss machen mit Tagen die überholte Ideologien feiern und Menschen auf starre Rollen festlegen. Geht es an dem Tag nicht eigentlich darum, Wertschätzung und Liebe zu schenken, dafür dass man zusammen ist, eine Familie ist, füreinander einsteht und sich um das Wohl des anderen sorgt? Dabei ist es egal, wie sich diese Familie zusammensetzt und wer welche Aufgaben übernimmt. Es spielt einfach keine Rolle, wer von den Eltern die Kinder erzieht und wer das Geld verdient. All das könnte ein »Familientag«, ein »Elterntag« oder ein »Tag des Miteinanders« viel besser ausdrücken. Dafür plädiere ich.

Eine kontroverse Debatte. Wie siehst du das? Was macht für dich Mutter- und Vatertag aus? Lass uns gern ins Gespräch kommen.

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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