Sep 23, 2023

Body Positivity versus Body Neutrality

Der Weg zu mehr Wohlbefinden

Die Body Positivity-Bewegung wollte sich zur Wehr setzen, gegen die unrealistischen Ideale in den sozialen Medien – die immergleichen Bilder großer, trainierter, schlanker Frauen. Sie stellte dem unerbittlichen Dogma dieser perfekten Körpervorstellungen Body Positivity entgegen, also einfach formuliert, eine ‚Positive Einstellung zum Körper‘ unabhängig von unrealistischen Vorbildern. Ein Hoch auf die Liebe zur Vielfalt, auf die individuelle Schönheit. Klingt doch gut, oder? Heute würde ich würde sagen: Ja,ABER …!

Zunächst zum besseren Verständnis ein paar Fakten rund um die Entstehung von Body Positivity.
Tatsache ist, dass Aussehen in gesellschaftlichen Kontexten wie Partnersuche, Schule oder Job eine Rolle spielt. Aber auch in der Werbung. Vor allem dicke Menschen – Männer wie Frauen – werden häufiger diskriminiert als schlankere. Sie verdienen unter Umständen bei gleicher Qualifikation weniger und werden auch im Gesundheitswesen ungleich behandelt. Plus-Size-Mode ist nach wie vor eine Nische. Deswegen entwickelte sich bereits 1969 die Body Positivity-Bewegung aus der sog. Fat Acceptance-Bewegung in den USA, die sich für Würde, Respekt und eine faire Behandlung einsetzte. So richtig Fahrt aufgenommen hat Body Positivity ab 2012 in den sozialen Medien: #bodypositivity. Mittlerweile ist sie zu einem weltweiten Phänomen und einem Instagram-Trend geworden – das Hashtag wird so inflationär verwendet, dass man sich die Frage stellen darf, wieviel Substanz eigentlich noch darin steckt.


#bodypositivity – um jeden Preis?

Im Laufe der Jahre hat sich die BOPO-Bewegung verändert, im Kern erweitert, da sie sich mittlerweile generell gegen unrealistische Schönheitsideale richtet. Das schließt neben Themen wie mehr Gewicht auch Dehnungsstreifen, Hautunreinheiten, dünnes Haar, asymmetrische Gesichtszüge, größere Nasen oder schmale Lippen mit ein – schlicht alles, was als Abweichung vom Idealbild wahrgenommen werden könnte. Das ist an sich gut so und kommt immer der Botschaft »Du bist schön« oder »Alle Körper sind schön.«. Ganze Industrien verdienen hervorragend daran, dass wir unsere »Makel« verstecken oder beseitigen wollen. Perfekte Körperbilder sind allgegenwärtig und Instagram ist mit sog. »Thinspiration«-Posts geradezu geflutet. Dem eine neue Haltung entgegenzusetzen, hat uns weitergebracht.

Es steht außer Frage, dass die Body Positivity-Welle etwas zum Positiven gewendet hat: Denk nur mal an die Dove-Kampagne vor einigen Jahren, die zum ersten Mal fülligere Models auf den Plakaten zeigte. Ja, es stimmt – auf dem Weg zu mehr Diversität sind wir ohne Zweifel etliche Schritte gegangen. Auch, wenn die Dominanz von Schönheitsidealen geblieben ist, ist zumindest mehr Vielfalt möglich. Und, wenn das Hashtag #bodypositivity Frauen zu mehr Selbstbewusstsein verhilft, ist das zunächst toll. Aber das dahinterstehende Mantra »Du musst deinen Körper nur lieben lernen« bringt auch seine Herausforderungen mit sich. Außerdem greift es dennoch zu kurz und verstärkt sogar das Problem, das es lösen will. Und genau an der Stelle setzt die Kritik an dem Body Positivity-Konzept an.

Body Positivity kann dazu beitragen, negative Gedanken zu reduzieren. Die Gefahr ist aber, dass Menschen ihre wahren Gefühle verbergen. Dann verursacht das »Good vibes only«-Mantra zusätzliche psychische oder körperliche Herausforderungen.

Vom Zwang, positiv sein zu müssen

Zelebriere dein positives Körperverhältnis – das ist das wiederkehrende Mantra von Body Positivity. Ich formuliere es bewusst radikal: Wir haben dem Dogma von Schönheitsidealen und dem hohen Stellenwert von Schönheit im Allgemeinen Body Positivity entgegengesetzt. Und uns – ohne es zu wollen – wieder in einen Käfig gesperrt: Den Käfig des ewig zwanghaften Positiv-Sein-Wollens. Jetzt stehen wir erneut unter Druck. Denn das ewige Vergleichen bleibt. Der Körper als Maßstab bleibt. Wir vermessen uns weiter, gleichen uns mit den Idealen ab und sagen dann: Ich mag meinen Körper so wie er ist.

Der Anspruch, einem standardisierten Erscheinungsbild zu entsprechen, ist zwar weg, der die vermeintlichen Makel zu lieben, dafür da. Wirkliche Freiheit aber entsteht erst, wenn der Körper nicht mehr das Mittel zur Definition des eigenen Wertes ist. Wenn wir uns realistisch und nicht aufgesetzt positiv betrachten – und erkennen, dass wir nicht unser Aussehen sind.

Genau das ist auch – neben der Sinnentleerung durch die inflationäre Nutzung des Hashtags – die zunehmend lauter werdende Kritik an der BOPO-Bewegung. Denn unumstritten stehen weiterhin die eigene Attraktivität und das Körperbild im Vordergrund. Die feministisch-psychologische Tradition nennt das »Selbst-Objektifizierung« – damit ist der »männliche vermessende« Blick von außen gemeint, den Frauen übernehmen und sich damit selbst betrachten und bewerten. Auch Body Positivity stellt die Figur in den Vordergrund – gekoppelt mit der Verpflichtung, sich selbst zu lieben. Besonders im Hinblick auf ernste gesundheitliche Risiken wie im Kontext Adipositas kann das zum einen zu einer Verharmlosung führen. Zum anderen baut die geforderte Selbstliebe Druck auf und setzt einen weiteren ungesunden Standard. Müssen wir uns wirklich über unseren Körper definieren, ihn bedingungslos feiern und zum Dreh- und Angelpunkt des Selbstwertes machen?

Auf den Punkt gebracht: Body Neutrality versus Body Positivity

Der Unterschied dieser beiden Bewegungen liegt in der Idee des Wertes: Der Body Neutrality-Ansatz geht davon aus, dass es keine Rolle spielt, ob man seinen Körper schön findet oder nicht. Der Wert eines Menschen hängt nicht von seinem Körper ab, und sein Glück nicht davon, wie er aussieht. Body Positivity besagt, dass man schön ist, egal wie man aussieht.


Sich selbst akzeptieren – Body Neutrality

Auch wenn die BOPO-Bewegung gute Absichten hat, bleibt doch die auf das Aussehen bezogene Selbstbewertung bestehen. Es wird Zeit, einen Schritt weiterzugehen. Das versucht die Body Neutrality-Bewegung, welche die US-Amerikanerin Melissa Fabello 2015 in einem Blogpost zur Sprache brachte: Das eigene Sein soll nicht mehr auf die Wahrnehmung des Körpers reduziert werden. Oder, um es in einen Satz zu fassen: Du bist, wer du bist – und nicht, wie du aussiehst. Wir sind komplexe menschliche Wesen mit einer Vielzahl an Dimensionen. Außerdem liegt ein großer Teil unserer körperlichen Eigenschaften außerhalb unserer Kontrolle, da sie größtenteils genetisch bedingt sind. Der Gedanke ist, sich selbstbewusst und ganzheitlich zu akzeptieren und so zu leben, dass man sich in seiner Haut wohlfühlt. Es wird also nicht thematisiert, ob du deinen Körper magst oder nicht, sondern vielmehr, dass dein Wert völlig unabhängig davon ist. Während also Body Positivity zwingend auf einem positiven Körperbild basiert (unabhängig vom jeweiligen Ideal), nimmt Body Neutrality den Körper komplett aus der Wertung. Er wird nicht bewertet. Sie entzieht sich also von vorneherein jeglichen Abgleichs und definiert den Selbstwert unabhängig von Äußerlichkeiten.

Niemand muss also krampfhaft positiv auf sein Erscheinungsbild blicken, sondern es ist erlaubt, Dinge an sich mehr oder minder zu mögen. Body Neutrality gibt uns die Freiheit, eine nüchterne und realistische Perspektive einzunehmen und den Körper nicht bedingungslos zu lieben. Denn im Kern spielt das alles keine Rolle, weil die Figur als Bemessungsgrundlage für den Selbstwert schlicht wegfällt. Wir sparen uns den prüfenden Blick auf uns selbst, den uns leider oft genug andere zuwerfen. Kurz: Der Körper wird nicht bewertet – er darf einfach sein. Das eigene Wesen wird nicht länger auf äußerliche Merkmale reduziert.

Aber auch das ist nicht ganz einfach. Menschen neigen dazu, sich zu vergleichen. Je schwächer das Selbstbewusstsein ausgeprägt ist, umso mehr. Wer also ohnehin schon unsicher ist, das weiß die Psychologie, richtet den Blick oft auf vermeintlich Attraktivere oder Bessere – mit dem Ergebnis, sich dann noch abgeschlagener zu fühlen. Sich dessen bewusst zu werden und zu verstehen, dass der eigene Blick oft strenger ist, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Ein einigermaßen entspanntes Verhältnis zu sich selbst, ist der Schlüssel zu Zufriedenheit, Glück und einem Leben voller positiver Momente. Unabhängig davon, wie wir aussehen. Wenn wir darüber nachdenken, wer wollte schon auf sein Äußeres reduziert werden? Ich empfinde es in vielen Situationen so. Wie attraktiv die authentische Ausstrahlung eines selbstbewussten Menschen ist – völlig unabhängig von der bloßen physischen Erscheinung. Letztere verliert nach den ersten Sätzen ihre Wirkung – nämlich dann, wenn wir beispielsweise in Gesprächen anfangen, die Person wahrzunehmen. Weil jede:r von uns soviel mehr ist als eine äußere Hülle, weil Kommunikation auf so vielen unterschiedlichen Ebenen funktioniert und ein Mensch, der von innen heraus strahlt, anziehend wirkt.

Verinnerlichte Body Neutrality bedeutet, morgens aufzuwachen mit der Frage »Wie fühle ich mich heute? Was brauche ich, damit es mir gut geht.«. Es heißt, Sport zu machen aus purer Lust an der Bewegung anstatt mit dem Ziel, die Optik zu optimieren.

Body Neutrality beinhaltet, achtsam zu sein: Ich akzeptiere meinen Körper wie er ist und bin dankbar für alles, was er für mich tut. Der Körper ist wichtig, aber nicht der Mittelpunkt meines Daseins.

 

Ein bisschen mehr Just be!. Ein bisschen mehr Leben.

Ok, #bodypositivity war ein guter Anfang, aber das Konzept hat seine Schwächen. Jetzt brauchen wir den nächsten Schritt. Vielleicht hat das vielgenutzte Hashtag jetzt einfach ausgedient, denn es konnte ein entscheidendes Problem nicht lösen: Im Fokus steht immer noch unser Körper und nicht der Charakter. Und zwar bei jedem einzelnen Post auf Social Media! Genau da bietet die Body Neutrality-Bewegung einfach die klügere Wahl. Auch, wenn die neue Haltung längst noch nicht so populär ist, kann sie doch ein Schritt in einen freieren Alltag sein. Denn sich wohlzufühlen und unseren Körper zu schätzen und zu respektieren, wiegt mehr als die bloße Fixierung auf Äußerlichkeiten – die in einer unnatürlichen Selbstliebe gipfelt. Wir dürfen unseren Körper unschön oder schön finden, ihn realistisch betrachten, er definiert uns aber nicht. Denn wir sind mehr als nur eine Hülle. Wir sind schön, weil wir die Person sind, die wir sind – mit allem, was dazugehört. Wir sind attraktiv, weil wir kluge, lustige oder skurrile Gedanken haben, weil wir laut sprechen, weil wir gern tanzen, lachen und auch manchmal weinen und unsere Stärken und Schwächen kennen. Vor allem aber, weil wir uns selbst akzeptieren und gut für uns und unsere Gesundheit sorgen. Zu diesem Gesamtbild gehört auch unser Aussehen – aber es bestimmt nicht unseren Wert. Diese Erkenntnis ist doch positiv, oder?

 

Die Initiative für eine größere Akzeptanz unseres Körpers ist nicht neu. Es begann mit der Body Positivity-Bewegung, die immer mehr in die Body Neutrality-Bewegung übergeht. Welcher Ansatz überzeugt dich mehr? 

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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