Nov 26, 2020

Eine intensive Dekade. Fashion-Retrospektive der 20er Jahre

Aktualisiert am 30. November 2021

100 Jahre ist der Beginn der sog. goldenen Zwanziger jetzt her. Der erste Weltkrieg war vorbei. Vier Jahre lang Tod und Vernichtung waren überwunden. Die Weimarer Republik stand am Anfang. Wer das Lebensgefühl in dieser Zeit verstehen will, muss sich vor Augen halten, dass mit dem Kaiserreich eine Welt zusammengebrochen war und damit eine Phase radikaler Veränderung angebrochen war. Es war eine Ära, die irgendwie ständig zwischen Chaos und Hoffnung, Armut und Dekadenz hin- und herschwankte. In einer Zeit, in der nichts mehr fest steht, entstehen aber auch Räume für Neues. Schöpfer- und Erfindergeist prägten die goldenen 20er, wie sie vor allem ab 1924 wegen der kulturellen und auch technologischen Aufbruchsstimmung genannt wurden. Mit dem Film »Nosferatu« war 1922 das Genre des Horrorfilms geboren. »Metropolis« von Fritz Lang aus dem Jahr 1927 etablierte als Meilenstein der Filmgeschichte neue Lichttechniken, Szenenbau und Schnittverfahren.

 Amüsierwut des wilden Jahrzehnts

Weil nichts gewiss war und eine Inflation drohte, entschieden sich die Menschen im Hier und Jetzt zu leben. Ausgiebiger Verschwendungswille sowie exzessive Feiern und Feste waren in diesem Jahrzehnt allgegenwärtig, in dem auch ein neuer Tanz erfunden wurde: der Charleston. Das Berliner Nachtleben und auch das in anderen deutschen Großstädten ist bis heute legendär. Obwohl viele Menschen arm waren, wurde über alle Gesellschaftsschichten hinweg ausschweifend gefeiert, um die Not zu vergessen. Ein bisschen wie ein Tanz auf dem Vulkan. Trotz der politischen und sozialen Ungewissheiten waren die 20er ein enormer Wendepunkt in der Geschichte. Die Gesellschaft machte einen entscheidenden Schritt in die Moderne. Damit veränderte sich auch das Frauenbild: Mit Marlene Dietrich, Josefine Baker, Marika Rökk oder der Sängerin Claire Waldoff eroberte ein neuer Frauentyp die Bühnen.

 

»Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.«, singt Marlene Dietrich im Film »Der blaue Engel« und macht damit auch die langstielige Zigarette salonfähig. Der weibliche Tabakkonsum explodiert und die Zigarette wird zum Symbol der Verruchtheit, der Selbstbestimmung und des Wandels. Sängerin Claire Waldoff tritt in Hemd, Krawatte und mit neckischem Bubikopf auf und singt im Berliner Dialekt. Frauen streben in die Selbstständigkeit. Auf den legendären Parties tanzte man Charleston, der viel Freestyle erlaubt und selbst Ausdruck purer Lust am Leben war, und kaufte den Bauchladenmädchen Zigaretten, Strumpfhosen und Knabbereien ab. In der Serie »Babylon Berlin« könnt ihr den Zeitgeist mit Kabarett und Burlesque sehr gut nachempfinden.

Der Stil der 20er Jahre

Zigarettenspitze, Flapperkleid & Art Déco

Mode entsteht nie im luftleeren Raum, sondern ist immer Ausdruck der Gesellschaft – als Gegenbewegung oder als Betonung des jeweils vorherrschenden Zeitgeistes greift Fashion seismographisch Strömungen auf. In den 20er Jahren spiegelt sich der Lebenshunger einer ganzen Generation wider. Die Sehnsucht nach Spaß und Glamour, die sich während des Ersten Weltkriegs aufgestaut hatte, entlud sich in wilden Partys und in Mode, die keine Bewegung einschränkte. Die langen Fransen der Charlestonkleider, welche bei den freiheitlichen Tanzschritten wild wippten, unterstrichen die neue Beweglichkeit. Statt Korsetts oder ausladende Puffärmel waren gerade geschnittenen Kleider, sog. Flapperkleider, en vogue – meist mit tiefsitzender Taille, welche die weibliche Linie nicht künstlich betonten. Für das angesagte androgyne Figur-Ideal eigneten sich auch Looks, die Männerkleidung nachempfunden waren. Bestes Beispiel für einen weiteren Trend-Look der Zeit sind die Marlenehose mit weißem Hemd und schwarz-weißen Schnürern. Burschikos war das neue Cool. Frauen liebten Kurzhaarschnitte und schmückten sie mit exaltierten Federbändern. Oder sie trugen kleine Hüte, die sich eng an den Kopf schmiegten. Die Männer nutzten unter den Dandyanzügen Hosenträger.

Die Roaring Twenties – der Look

Must-haves

Wer sich inspirieren lassen will, wird in Hollywoodfilmen wie »Der große Gatsby« fündig. Denn gerade den Details kommen bei den 20ies Outfits eine besonders große Bedeutung zu: Glitzernde Pailletten, Pelzstolen, Accessoires wie die typischen Glockenhüte, lange Handschuhe und pompöser Schmuck mit Jugendstilelementen sowie die lange Zigarettenspitze. Zu dem anderen typischen Style mit weiter Marlenehose und Hemdbluse darf es auch eine Fliege aus der Männerabteilung sein.

Dein Style für’s feudale Spektakel!

► Vintage Flapper Dress
Das Kleid mit tiefsitzender Taille und geradem Schnitt ist die Basis jedes Outfits. Meist ist es reich verziert mit langen Fransen, Pailletten und Art Déco-Applikationen. Manche Looks haben auch ein asymmetrisches Rockteil oder arbeiten mit Stufen.

► Mondänes Flair durch Accessoires
Zigarettenspitzen, lange Handschuhe und Haarbänder verziert mit großen Federn oder Strass verleihen dem Look das gewisse Etwas.

► Schmuck
Lange Perlenketten und Ohrringe waren en vogue.

► Schuhe
Ganz klar: Mary Janes aus Samt, Satin oder Kroko-Leder geschmückt mit Perlmutt, Strass oder Perlen. Aber auch: Slipper und Schürer (Oxford-Schuhe), besonders zu androgynen Outfits wie Marlenehosen und Hemdblusen.

► Hut
Frau liebte die Cloche – der nahe am Kopf anliegende, tiefsitzende Hut mit heruntergezogener Krempe war besonders populär.

► Hair-Style
Typisch ist der kurz geschnittene Bubikopf. Aber auch die Wasserwelle gehört zum authentischen 20ies Style.

► Make-up
Exzentrisch: Tiefrote, nicht ganz ausgefüllte Lippen, dunkel geschminkte Augen, gern auch Smokey Eyes, und extrem dünne, eher rund nachgezogene Augenbrauen schaffen die typisch verruchte Attitüde.

Showstopper vermeiden

Dos

  • – Lange Zigarettenspitze für noch mehr Drama-Effekt
  • – Wasserwelle ist ein Must, kein Pferdeschwanz, keine geglätteten Haare
  • – Tipp: Strumpfhosen mit schwarzer Naht an der Rückseite wählen

 Don’ts

  • – Taille nicht zu sehr betonen, der Look soll insgesamt eher burschikos, nicht klassisch-feminin wirken
  • – Keine tiefen Dekolletés
  • – Verzichte auf den Push-up BH, das widerspricht dem androgynen Schönheitsideal

 

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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