Lass mich doch mal ausreden! Manterruption im Fokus
Keine Geringere als Kamala Harris weiß so genau, worum es geht, wenn der Begriff »Manterruption« fällt. Nämlich aus eigener Erfahrung: Vor vier Jahren fiel ihr der damalige Vizepräsident Mike Pence immer wieder respektlos ins Wort und versuchte, sie zu unterbrechen. Ein Glück, das Kamala Harris sich durchsetzen kann. Sie antwortete ruhig und sicher: “ Mr. Vice-President, I’m speaking, I’m speaking.“ – und wird zum Role Model, wie Frau sich gegen respektlose Männer behaupten kann.
Beispiele für Manterruption gibt es viele. Da fällt nicht nur jemand wie Donald Trump negativ auf, der Hillary Clinton in einer TV-Debatte ganze 51-mal unterbrach. Viele Frauen berichten von ähnlichen Erfahrungen in den Führungsetagen von einflussreichen Unternehmen oder sogar in der eigenen Partnerschaft. Dass es sich dabei nicht um bloße Befindlichkeiten handelt, belegen auch Studien der George Washington University mit folgendem verstörenden Ergebnis: Männer fallen Frauen während einer dreiminütigen Konversation durchschnittlich 2,6x ins Wort!
Manterruption – Definition eines Phänomens
»Manterrupting« oder »Manterruption« als Begriff besteht aus zwei Worten: »Man« und »to interrupt« (unterbrechen). Auf den Punkt gebracht, ist das die unnötige Unterbrechung einer Frau durch einen Mann. Das Phänomen ist leider keine seltene Erscheinung, sondern tritt in allen Lebensbereichen auf. In Business-Meetings oder Brainstormings werden Frauen genauso von männlichen Kollegen gestoppt wie in privaten Gesprächen oder in öffentlichen Debatten. Damit wird ihre Redezeit oft verkürzt, sie werden ignoriert oder ihre Sachargumentation irritiert.
Zwei maligne Kommunikationsmuster – eine Ursache: Manterruption und Mainsplaining
Ähnlich problematisch in der Geschlechterkommunikation ist das sog. »Mansplaining«, zusammengesetzt aus »Man« und »Explaining« (Erklären), das Rebecca Solnit in ihrem berühmten Essay »Wenn Männer mir die Welt erklären.« treffend beschreibt. Das zeigt sich im Alltag durch unerwünschte, aufgezwungene Erklärungen zu Sachthemen, die suggerieren, dass die Frau weniger weiß – völlig unabhängig von der tatsächlichen Kompetenz oder Qualifikation. Es wirkt also das unbewusste Vorurteil und die Tendenz, Frauen als weniger kompetent oder sachkundig anzusehen. Der Unterschied zwischen den beiden Stilen ist schnell erklärt: Maninterruptors versuchen, Frauen zu übergehen. Mansplainer wollen Frauen die Welt erklären.
Was steckt hinter Manterruption?
Begreift man dieses Verhalten als flächendeckende Erscheinung, stellt sich die Frage nach dem Warum. Welche Faktoren liegen zugrunde, dass Männer selbstverständlich Frauen ausbremsen und sie daran hindern, ihre Ansicht im Privaten wie im Business zu schildern und zu vertreten? Die Antwort ist so naheliegend wie erschütternd: Hier greifen längst überholte Rollenmodelle. Ewig gestrige Vorstellungen von Geschlechtern beeinflussen heute noch die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren. Lang gewachsene patriarchale Denkweisen brechen sich kollektiv Bahn – allen Bemühungen um echte Gleichheit zum Trotz.
Gemäß tief verwurzelter Rollenklischees sollen Frauen nämlich zurückhaltend, defensiv und verständnisvoll sein sowie sich um Zusammenhalt und Fürsorge verdient machen. Und – Zuhören! Selbstverständlich im Hintergrund. Von Männern hingegen wird erwartet, dass sie sich durchsetzen, Dinge bewegen und Handlungsstärke demonstrieren. Also, bestimmend zu sein. Das spiegelt sich im traditionellen Familienbild von dem Mann als Oberhaupt und der Frau als Hausfrau wider. Weiterhin wirkt die Annahme, dass Männer von Natur aus die Rolle des Wissenden übernehmen sollten, um ihre Männlichkeit zu bestätigen. So können sich Männer unbewusst in der Rolle des Erklärers sehen, während Frauen als Lernende betrachtet werden. Dies kann dazu führen, dass Männer in Gesprächen dominant – und unhöflich! – auftreten und Frauen herabsetzen, ohne es bewusst zu beabsichtigen.
Diese sozial erworbenen, verinnerlichten Klischeebilder wirken sich also auf die Kommunikation aus. Viele Männer, die Frauen häufiger unterbrechen, scheinen offenbar mehr oder minder unterschwellig der Meinung zu sein, Frauen hätten ohnehin nichts zu sagen. So könne man sie auch gleich nach den ersten Sätzen die Redezeit abschneiden. Da kommt ein weiteres rollenspezifisches Vorurteil zum Tragen: Männer halten sich insbesondere bei Sachthemen häufig für schlicht kompetenter und Sachkunde oder kognitive Größe wird immer noch stärker bei Männern verortet. Der sog. »Matilda-Effekt« beschreibt das im Bereich der Wissenschaft zutreffend, in der Frauen teilweise übergangen werden oder deren Leistungen in Forschungsteams einfach männlichen Kollegen zugerechnet werden. Und ganz klar – auch männliches Dominanzverhalten zeigt sich hier, das heute genauso unangemessen ist.
Männer beanspruchen also auch mehr Redezeit für sich, weil sie sich im Kern für kompetenter als ihr weibliches Gegenüber halten – und das ist sichtbarer Beweis für eine immer noch patriarchalisch strukturierten Gesellschaft. Hart formuliert: Dass Männer häufiger unterbrechen, spiegelt die soziale Hierarchie wider. Frustrierend und inakzeptabel. Weiterhin wird die Redezeit von beiden Geschlechtern unterschiedlich bewertet. Ein Beispiel: Männliche Führungskräfte, die mehr Redezeit beanspruchen, werden als kompetenter eingestuft – und zwar um 10 Prozent mehr. Tun es ihnen weibliche Führungskräfte gleich, werden sie für weniger kompetent gehalten – um minus 14 Prozent (Quelle).
»Studien zeigen, dass Männer öfter als Frauen eine übergriffige Art von Unterbrechung anwenden, mit der sie andere zum Schweigen bringen, und Frauen sind häufiger das Opfer dieser Unterbrechungen.«
_Joanna Wolfe, Carnegie Mellon University
Folgen des Unterbrochen-werdens
Manterruption ist ein ernstes Thema und ein Problem, das nicht ignoriert werden kann – sowohl im Hinblick auf die situativ betroffenen Frauen als auch im Hinblick auf die Gesellschaft. Frauen, deren inhaltliche Ausführungen abgewürgt werden, fühlen sich unweigerlich frustriert und nicht respektiert. Je nach Persönlichkeit kann das das Selbstbewusstsein beeinträchtigen oder ernste Zweifel an der eigenen Kompetenz aufkommen lassen. Im Worst Case setzt ein Teufelskreis ein, der dazu führt, dass die betroffene Frau sich in Diskussionen zurückhält, an Sichtbarkeit im Unternehmen einbüßt und mögliche Karriereziele nicht erreicht. Aus gesellschaftlicher Perspektive trägt das lästige und äußerst respektlose Unterbrochen-werden einmal mehr zur Verstärkung von geschlechterspezifischen Stereotypen bei. Männer erobern sich mehr Redezeit und gelten folglich nur aufgrund dessen als dominanter und kompetenter – eine unglückliche Fortschreibung an sich längst überholter Rollenvorstellungen.
Manterruption spiegelt ein Ungleichgewicht in der Geschlechterkommunikation wider. Das kann dazu führen, dass Frauen in wichtigen Gesprächen in den Hintergrund gedrängt werden – mit Folgen für das Selbstbewusstsein und die Karriere. Gesellschaftlich gesehen werden Rollenklischees bestätigt und verstärkt, was einen Rückschritt auf dem gesellschaftlichen Weg zu echter Gleichstellung bedeutet.
Was nun? Auf die richtige Reaktion kommt es an!
Lass mich bitte ausreden! Wie oft dieser Satz wohl gedacht, aber nicht ausgesprochen wird? Unterbrechungen sind respektlos und unhöflich – und nicht zu tolerieren. Frauen sollten sich nicht zurückhalten, auf Anerkennung verzichten oder sich weniger engagieren. Es gibt keinen Grund für Selbstzweifel. Aber glücklicherweise bietet die menschliche Interaktion Möglichkeiten, dem zu begegnen. Wenn es passiert, ist es wichtig, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und vor Schreck zu verstummen. Sprich: Nicht sprachlos zu reagieren, sondern bestimmt und sicher. Je bewusster uns die Möglichkeit vor Augen steht, dass man uns unter Umständen nicht ausreden lässt, desto weniger überrascht sind wir und können souveräner reagieren. Bereite dich also auf die Situation vor, in der Partnerschaft oder im Freundeskreis – besonders aber, wenn es um ein wichtiges Geschäfts-Meeting geht.
► Wirst du unterbrochen, spreche ruhig und bestimmt weiter. Dabei kannst du deine Stimme etwas erheben. Normalerweise reicht das aus. Der Unterbrechende versteht den Hinweis.
► Für den Fall, dass der Unterbrechende nicht reagiert, mache eine kurze Pause, sage etwas wie »einen Moment, bitte« und weise ihn sachlich darauf hin, dass du gern ausreden würdest. Auch ein Satz wie »Sie können gleich etwas dazu sagen« wirkt sicher und klärend.
► Entscheidend ist, das Wort nicht abzugeben und sich nicht gekränkt zu zeigen oder klein zu fühlen. Denn nicht du verhältst dich falsch, sondern der Unterbrechende.
► Blickkontakt zu den Zuhörenden halten – das wird als Signal verstanden, dass noch kein Platz für andere Stimmen ist.
► Achte auf deine Körpersprache, mach dich nicht klein oder weiche nicht zurück. Kurz: Zeige Präsenz.
► Wenn du das Meeting leitest, lege als Regel fest, dass niemand unterbrochen wird.
Tipp: Der Ton macht die Musik. Im Idealfall gelingt es dir, mit der sog. Bauchstimme zu sprechen. Das bedeutet, den Tonfall nicht zu hoch werden zu lassen. In Stresssituationen neigen wir dazu, in die Kopfstimme zu wechseln. Die Bauchstimme aber wird als entspannt und souverän wahrgenommen.
Dass das Thema größer ist, als »Nicht ausreden lassen« verdeutlicht das dahinterstehende gesellschaftlich gewachsene tradierte Rollenmodell. Obige Interventionen können situativ helfen, grundsätzlich geht es aber um die gewünschte gesellschaftliche Entwicklung hin zu echter und gelebter Geschlechtergleichheit. Und dafür lohnt es sich, weiterhin die Stimme zu erheben.